True Crime: Das Verbrechen von Hinterkaifeck – SG #227

True Crime: Das Verbrechen von Hinterkaifeck – SG #227

Die Geschichte, die ich Dir heute erzählen möchte, ist wirklich so passiert. Heute nennt man das ja „True Crime“ – in der deutschen Sprache sagt man wörtlich übersetzt gerne „wahre Verbrechen“ dazu. Wenn du schwache Nerven hast oder wenn Kinder in der Nähe sind, solltest du diese Episode nicht anhören.

Wir bleiben hier in Bayern. Im Jahr 1922 steht in Hinterkaifeck ein Einödhof. Das ist ein Bauernhof, der nicht in einem Dorf steht, sondern alleine etwas außerhalb. Der nächste Nachbar ist weit entfernt. Es ist eine ländliche Gegend. Es leben nicht viele Menschen hier. Auf dem Einödhof selbst lebt das Ehepaar Gruber. Der Bauer Andreas Gruber ist 64 Jahre alt, seine Frau Cäzilia 72 Jahre alt. Ihre Tochter Viktoria Gabriel lebt auch hier, denn ihr Mann ist im Ersten Weltkrieg gestorben. Sie ist also mit 35 Jahren schon Witwe. Ihre beiden Kinder hat sie mitgebracht zu den Eltern. Ihr Sohn Josef ist zwei Jahre alt, ihre Tochter Cäzilia ist sieben Jahre alt. Es leben also drei Generationen auf dem Hof.

Dann geschehen plötzlich seltsame Dinge an diesem Ort. Es wird eine Münchner Zeitung gefunden, die es hier auf dem Dorf gar nicht zu kaufen gibt. Dann werden Spuren im Schnee entdeckt – sie führen zu dem Einödhof, aber nicht wieder weg. Es verschwindet ein Hausschlüssel. An einer Hütte wird das Schloss aufgebrochen und ein Rind losgebunden. Im Wald wird mehrmals ein Mann mit Bart gesehen, der den Hof beobachtet.

Aber das muss alles nichts bedeuten, oder? Im März kommt eine neue Magd auf den Hof. Eine Magd war damals eine weibliche Hilfskraft auf dem Bauernhof, eine männliche Hilfskraft nannte man Knecht. Maria Baumgartner ist 45 Jahre alt, als sie an einem Freitag auf den Einödhof kommt um dort zu arbeiten.

Am Sonntag darauf, also zwei Tage später, ist die Familie nicht in der Kirche. Das fällt auf, denn es ist üblich, am Sonntag zum Gottesdienst zu gehen. Am Montag kommt die siebenjährige Cäzilia nicht zur Schule. Der Postbote merkt, dass die Post vom Freitag noch im Briefkasten steckt. Was ist da los?

Letztlich werden zwei junge Männer losgeschickt, um nach der Familie zu sehen. Was sie finden, ist grausam: Alle Bewohner und Bewohnerinnen des Hofes sind tot. Sie wurden ermordet. Sogar die Kinder. Die Rekonstruktion des Verbrechens ergibt: Die junge Witwe war nachts in den Stall gegangen und dort erschlagen worden. Ihre Mutter wunderte sich, wo die Tochter blieb, und folgte ihr in den Stall – auch sie wurde ermordet. Danach folgten ihr Vater und ihre kleine Tochter. Der oder die Täter hörten aber nicht auf zu morden, sie gingen ins Haus und fanden dort die neue Magd und das Kleinkind – auch sie wurden getötet. Alle Leichen wurden mit der gleichen Waffe erschlagen und anschließend bedeckt, entweder mit Heu oder mit Bettzeug. Einige Tage lagen sie schon so, als sie gefunden wurden. Seltsam ist: Die Tiere auf dem Hof haben noch Futter, die Kühe wurden gemolken. Und auch im Backofen war noch etwas verbrannt worden. Der oder die Täter sind also nach dem Mord noch einige Zeit auf dem Hof geblieben.

Bald ist die Polizei verständigt und beginnt zu ermitteln. Die Leichen werden gleich vor Ort obduziert. Natürlich beginnt auch die Suche nach einem Motiv. War das Verbrechen ein Raubmord? Offenbar nicht, denn obwohl etwas Bargeld fehlt, und ein Zimmer durchsucht aussieht, sind Aktien und Wertpapiere noch da. Verdächtige werden vernommen – aber ohne Ergebnis. Im Zweiten Weltkrieg werden viele Akten zerstört – 1955 wird der Fall dann geschlossen. 16 Jahre später gibt es dann eine neue Spur, eine alte Frau beschuldigt ein Brüderpaar – doch bei der Vernehmung erweist sie sich als verwirrt.

Wer war der Täter? War es der Bürgermeister des Dorfes, der in Viktoria verliebt war? War es der Ehemann von Viktoria, den man für tot hielt, der es aber gar nicht war? Oder war es ein Korbmacher, der eine Affäre mit Viktoria hatte?

Auf dem Bauernhof wollte nach dem Mord niemand mehr wohnen. Es fand sich kein Käufer. Also wurde er abgerissen. Bei den Abriss-Arbeiten ein Jahr nach dem Mord fand man die Mordwaffe, sie war versteckt worden.

2007 machte sich eine Gruppe von Polizeischülern bei diesem Verbrechen noch einmal auf die Spurensuche. Sie wunderten sich über einige Fehler, die bei den Ermittlungen gemacht wurden. Fingerabdrücke wurden nicht genommen, obwohl das damals schon möglich war. Manche Verhöre fanden erst Jahre nach der Tat statt. Am Ende der Arbeit ist sich die Schülergruppe sicher, wer der Täter sein muss. Aber sie veröffentlicht den Namen nicht – um Nachkommen zu schützen. Und weil es keinen hundertprozentigen Beweis gibt.

Bis heute, fast 100 Jahre nach der Tat, ist der sechsfache Mord an einer ganzen Bauernfamilie in Bayern also ungeklärt. Es gibt Bücher und Filme, die sich mit dem Verbrechen beschäftigen – und auch einen sehr guten Podcast, er heißt „Dunkle Heimat“ von Antenne Bayern. Was wirklich geschah, werden wir wahrscheinlich nie erfahren.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg227kurz.pdf

SG #097: Tatort

Wisst Ihr, was ein Straßenfeger ist? Ich meine das nicht im wörtlichen Sinne, da steht kein Mann auf der Straße mit einem Besen in der Hand. Aber im übertragenen Sinne ist es genau so: Am Sonntag Abend gibt es den letzten Straßenfeger im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen: Den Tatort. Ein Straßenfeger ist also eine Fernsehsendung, die so viele Menschen sehen wollen, dass die Straßen wie leergefegt sind. Rund 10 Millionen Menschen in Deutschland sehen den Tatort jeden Sonntag Abend – und die Zahlen steigen.

Der Tatort ist eine KrimiReihe. Der erste Tatort lief am 29. November 1970, mittlerweile gab es über 900 Folgen. Jeder Tatort ist 90 Minuten lang und beginnt am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten Deutschen Fernsehen, „Das Erste“. Auch die Schweiz und Österreich gehören zum Tatort-Gebiet, auch sie produzieren eigene Filme.

Jede Woche ist ein anderes Team an der Reihe – es gibt viele verschiedene Tatort-Ermittler in verschiedenen Städten. 21 Teams sind es zur Zeit. Hier in München ermitteln zwei ältere Herren, Batic und Leitmayr heißen sie im Film. Über 60 Fälle haben sie schon miteinander gelöst. Andere Teams kommen nicht so gut an und werden nach wenigen Folgen wieder abgesetzt. Am längsten dabei ist Kriminalhauptkommissarin Lena Odenthal, die in Ludwigshafen am Rhein ermittelt – und zwar seit 1989. Gespielt wird sie von der Schauspielerin Ulrike Folkerts. Sehr beliebt ist das Team aus Münster, gespielt von Jan Josef Liefers und Axel Prahl. Die Tatort-Episoden aus Münster sind sehr lustig und kommen daher gut an. Mit der Zeit kennt man die verschiedenen Teams gut, man kennt ihre Familiengeschichte und ihre Macken, und das macht sie sympathisch. Und man erkennt natürlich die Drehorte, wenn der Tatort in der eigenen Stadt spielt.

Genau diese Zusammensetzung aus verschiedenen Teams ist es wahrscheinlich, die den Tatort so erfolgreich macht. Jeder hat ein Lieblings-Team, und für jeden Geschmack ist etwas dabei. Es gibt alte Ermittler und junge, es gibt natürlich Männer und Frauen als Hauptdarsteller, es gibt düstere und traurige Folgen und auch komische und schräge Folgen. Oft werden aktuelle Themen aufgegriffen. Es geht also nicht nur um einfache Morde und die Suche nach dem Täter, sondern oft auch um Bandenkriminalität, Menschenhandel, Rechtsextremismus, Drogen und ähnliches.

Rund 35 Folgen gibt es pro Jahr, im Sommer laufen Wiederholungen. Da der Tatort so gut ankommt, laufen auch in den Dritten Progammen fast täglich Wiederholungen alter Fälle. Über eine Million Euro kostet die Produktion eines Tatorts, einen knappen Monat lang wird gedreht.

Die meisten Zuschauer hatte bislang übrigens eine Folge aus Münster: Fast 13 Millionen Menschen sahen „Summ, Summ, Summ“ 2013. Gleich danach kam eine Folge aus Hamburg: Dort ermittelte Nick Tschiller vor 12,57 Millionen Menschen. Gespielt wird er von Til Schweiger, einem deutschen Schauspieler und Regisseur, dessen Kinofilme regelmäßig auf Platz eins der Kinocharts landen – so wie jetzt gerade der aktuelle Film „Honig im Kopf“.

Mit wachsender Begeisterung steigen die Tatort-Fans übrigens auch auf den so genannten Second Screen um: Während der Ausstrahlung wird unter dem Hashtag #Tatort getwittert, es werden Kommentare auf Facebook geschrieben und viele Landesrundfunkanstalten bieten nach der Ausstrahlung oder währenddessen einen Chat an, damit man dem Regisseur oder den Schauspielern Fragen stellen kann. Social TV heißt das dann. Habt Ihr schonmal Tatort geschaut? Mich würde sehr interessieren, was Ihr davon haltet.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg97kurz.pdf