Leben auf dem Land oder in der Stadt? – SG #248

Leben auf dem Land oder in der Stadt? – SG #248

Ich diskutiere oft mit meinen Freundinnen, wo man besser leben kann: auf dem Land oder in der Stadt? Vielleicht magst du dir darüber ja auch einmal Gedanken machen?

Ich selber bin in einer kleinen Gemeinde mit damals ungefähr 8000 Einwohnern aufgewachsen. Es gab Geschäfte und man konnte mit der S-Bahn in ungefähr 20 Minuten in die Innenstadt von München fahren. Das war praktisch, denn so konnten wir ins Kino gehen, in Restaurants, ins Theater oder in eine Bücherei. Oder natürlich einkaufen gehen. Alles für den sogenannten täglichen Bedarf, also Lebensmittel, gab es direkt in unserer Gemeinde. 

Dann bin ich zum Studieren nach München gezogen, also mitten in die Stadt. Das war eine super Zeit, denn als Studentin konnte ich so in Bars gehen, in Kneipen, in Cafés, ins Kino. Alles war nah zu erreichen, ich konnte mit dem Fahrrad zur Uni fahren und danach in den Englischen Garten, das ist der große Park mitten in München. Die Wege waren sehr kurz. Praktisch war natürlich auch der öffentliche Nahverkehr, also Busse und Bahnen. Ich brauchte in dieser Zeit kein Auto, weil ich öffentlich überall hinfahren konnte. 

Und heute? Heute lebe ich eigentlich genau in der Mitte zwischen diesen beiden Orten. Ich lebe am Stadtrand, wir nennen das auch gerne den Speckgürtel der Stadt. Der große Vorteil: wir haben hier ein Haus mit Garten, und das ist für unser Kind natürlich toll. In der Stadt hatten wir nur eine Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug. Das war sehr mühsam. Wir mussten alle Lebensmittel nach oben schleppen. Jetzt haben wir viel mehr Platz, die Miete ist günstiger als in der Innenstadt. Zur Arbeit kann ich fahren, ohne lange im Stau zu stehen oder abends ewig einen Parkplatz suchen zu müssen. Ich parke einfach in unserer Garage. 

Ein Aspekt ist ein Vorteil und ein Nachteil zugleich, finde ich: auf dem Dorf kennen die Menschen einander, und das gilt auch für unsere Gemeinde hier am Stadtrand. Wenn ich spazieren gehe, treffe ich eigentlich immer jemanden, den ich kenne. Das kann nerven, weil es keine Anonymität gibt wie in der Stadt. Andererseits helfen wir einander, und das ist schön. 

Auf dem Land ist es natürlich auch viel grüner, hier gibt es mehr Natur, mehr Bäume, mehr Felder, die Luft ist besser und es ist auch nicht so laut. Und für Kinder ist der Verkehr in einem kleinen Dorf nicht so gefährlich wie in der Stadt. Sie können sich hier mit dem Fahrrad selber fortbewegen und ihre Freunde treffen, sind selbständiger. Meistens ist auch die Kriminalitätsrate niedriger. 

Das klingt, als würde ich lieber auf dem Land wohnen, oder? Das stimmt aber eigentlich nicht. Am liebsten hätte ich etwas dazwischen. Ein Häuschen in einem ruhigen Teil der Stadt, wo ich aber trotzdem schnell zur Eisdiele, zum Restaurant oder ins Kino gehen kann. Aber um mir das leisten zu können, müsste ich schon Millionärin sein, oder? Wie ist es bei Dir – wo möchtest Du lieber leben? Schreib mir gerne eine Mail an podcast@slowgerman.com oder in die Kommentare!

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg248kurz.pdf

Auswanderung aus Deutschland – SG #247

Auswanderung aus Deutschland – SG #247

In den Nachrichten hört man viel von Menschen, die nach Deutschland einwandern wollen. Aber wusstest du auch, dass jedes Jahr 180.000 Menschen Deutschland verlassen, um im Ausland zu leben? Drei Viertel von ihnen sind Akademiker. 

Aber wie war das in der Vergangenheit? Ich habe die Geschichte von Franz Daniel Pastorius gefunden. Er wanderte mit einer Gruppe deutscher Siedler im Jahr 1683 nach Pennsylvania in den Vereinigten Staaten von Amerika aus. Mit 13 Familien aus Krefeld gründete er die Siedlung Germantown, die heute ein Vorort von Philadelphia ist. 

In den kommenden Jahren verließen viele Deutsche ihre Heimat. Der Grund war eine große Hungersnot, später auch die Überbevölkerung der Gegend. Denn durch die Industrialisierung und Fortschritte in der Medizin starben immer weniger Kinder, die Familien waren also sehr groß. Es gab aber nicht für alle genug zu essen, die Arbeitslosigkeit war groß. Die Menschen hofften auf ein neues Leben in der Fremde. 

Die USA waren das Hauptziel der deutschen Auswanderer. Manche zogen aber auch nach Brasilien, Kanada oder Argentinien. Und einige gingen in die deutschen Kolonien, das habe ich ja schon in einer anderen Slow German-Episode erzählt. In der ersten Phase bis 1865 wanderten meistens ganze Familien aus. Das heißt die Auswanderer hatten Kinder dabei. Die meisten von ihnen hatten einen Beruf erlernt und konnten im neuen Land daher gut arbeiten.

In den nächsten 30 Jahren waren es dann eher einzelne Menschen, die auswanderten. Sie hatten oft keinen Beruf. Auch wenn man meinen könnte, dass das vor allem Männer waren, stimmt das nicht: auch Frauen machten sich alleine auf den Weg in die Ferne.

Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs kamen noch viele Industriearbeiter nach Amerika. Zwei Drittel der Auswanderer waren alleine unterwegs, fast 40% von ihnen waren Frauen.

Im 20. Jahrhundert wurde es immer schwieriger, in andere Länder auszuwandern. Denn die weltweite Wirtschaftskrise sorgte dafür, dass zum Beispiel die USA die Immigration kontrollierten. Es gab neue Gesetze, damit nicht zu viele Menschen ins Land kamen. 

Und dann waren da die beiden Weltkriege, vor allem der Zweite Weltkrieg mit der Judenverfolgung durch die Nazis. Viele Juden verließen Deutschland, dazu noch viele Künstler und Wissenschaftler oder Politiker. Eine halbe Million Menschen verließ Deutschland, weil sie die Gefahr zum Glück rechtzeitig erkannt hatten. Viele der Emigranten sind heute noch berühmt, Albert Einstein zum Beispiel, Marlene Dietrich, Thomas Mann oder Bertolt Brecht.

Nach dem Krieg blieb Nordamerika das Land, in das die Deutschen auswandern wollten. Eine halbe Million Menschen wanderten in den 50er-Jahren dorthin aus. 

Was sind die Gründe dafür, sein eigenes Land zu verlassen, um woanders ein neues Leben zu beginnen? Man spricht in diesem Zusammenhang von Push- und Pullfaktoren. Entweder man wird aus dem eigenen Land sozusagen vertrieben durch Krieg, Bedrohung oder Hunger, oder man wird von einem anderen Land angezogen, beispielsweise weil es dort mehr Land gibt, ein besseres Klima oder andere Vorteile. 

Die OECD schätzt, dass 3,4 Millionen in Deutschland Geborene in einem anderen OECD-Land leben. Sie arbeiten dort, viele von ihnen als Führungskräfte, als Akademiker, Techniker oder im Bildungs- und Gesundheitswesen. Wer von Deutschen im Ausland spricht, spricht heute also eher von hochqualifizierten Arbeitskräften. 

Deutschland gilt als Migrationsland. Viele Menschen ziehen weg, andere kommen neu hinzu. Zum Beispiel die Gastarbeiter, aber davon habe ich dir ja schon erzählt. 

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg247kurz.pdf

Mental Load – SG #246

Mental Load – SG #246

Ja, du hast recht: Der Titel dieser Podcastepisode ist nicht Deutsch, sondern Englisch. Aber wir hier in Deutschland benutzen nunmal gerne englische Wörter. Und für „Mental Load“ gibt es im Deutschen nur komische Übersetzungen, zum Beispiel „Kümmerarbeit“ oder „psychische Belastung“. Was das ist, erkläre ich Dir heute. Ich bin sicher, auch Du bist von Mental Load betroffen.

Stell Dir mal einen ganz normalen Tag vor. Wie sieht dieser Tag aus? Gehst du morgens zur Arbeit oder arbeitest im Homeoffice und abends hast du frei? Das ist schön! Für die meisten von uns sieht es aber anders aus. Denn wir müssen nicht nur arbeiten, sondern viele weitere Pflichten erfüllen. Wir müssen Wäsche waschen, den Rasen mähen, einen Kindergeburtstag organisieren, das Auto in die Werkstatt bringen, einkaufen gehen, kochen, Kinder in die Schule oder in den Kindergarten bringen und abholen, Rechnungen bezahlen und so weiter und so fort. 

Das sind alles Kleinigkeiten. Sie brauchen weder viel Zeit noch müssen wir uns besonders konzentrieren, um sie zu erledigen. Aber dennoch verursachen diese vielen kleinen Dinge Stress. Es ist eine unsichtbare Verantwortung, die wir tragen. Es geht um Verantwortung, um Organisation, um Koordination. All diese Dinge sind unbezahlte Arbeit. Dazu gehört auch die Pflege von Angehörigen, also zum Beispiel von den kranken Großeltern.

Ich finde es fühlt sich manchmal so an, als wären all diese Aufgaben kleine Bälle, die wir in der Luft halten müssen. Passen wir einmal nicht auf, fällt ein Ball auf den Boden. Unsere To-Do-Liste im Kopf wird immer länger und länger, je mehr Aufgaben wir haben. Mit Kindern ist diese Liste meist länger als ohne Kinder. 

Was passiert nun aber, wenn uns dieser Stress zu viel wird? Im schlimmsten Fall landen wir dann im Burnout, also in einem Zustand, der uns wirklich krank macht. Die französische Comic-Zeichnerin Emma hat dazu eine Graphic Novel gezeichnet, die sehr bekannt geworden ist. 

Und du ahnst es schon: es leiden mehr Frauen als Männer unter dieser unendlichen To-Do-Liste im Kopf. Das soll sich aber ändern. Deswegen gibt es den Equal-Care-Day, der entweder am 29. Februar oder am 1. März stattfindet. Dieser Tag soll daran erinnern, wie ungleich die Last auf Männer und Frauen verteilt ist. Eine Oxfam-Studie hat ergeben, dass Frauen täglich mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit übernehmen. 

Früher war das etwas anders. In vielen Familien in Deutschland gab es eine klare Rollenverteilung. Der Mann ging in die Arbeit und brachte Geld nach Hause. Die Frau kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Heute ist das anders. Sehr oft arbeiten beide Elternteile, und das nicht nur weil sie müssen, sondern weil viele Frauen das auch wollen. Sie möchten sich weiterentwickeln in ihrem erlernten Beruf, wollen unabhängig sein von ihrem Mann. So selbstverständlich das heute in Deutschland ist, leider ist es noch nicht selbstverständlich, dass auch alle anderen Haushalts- und Familienangelegenheiten gerecht aufgeteilt werden. Belastend ist das Gefühl, für alles alleine die Verantwortung zu tragen.

Wie ist das bei Dir? Es gibt eine interessante Tabelle, die du ausfüllen kannst um zu sehen, welche Aufgaben du alle erledigst, ich verlinke sie auf slowgerman.com: https://equalcareday.de/mentalload-test.pdf.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg246kurz.pdf

Das Brandenburger Tor – SG #245

Das Brandenburger Tor – SG #245

Petra aus Holland hat mich gebeten, etwas über das Brandenburger Tor zu erzählen. Das hat mich neugierig gemacht, denn ich wusste selber nicht viel darüber. Also habe ich nachgeforscht und kann dir jetzt etwas erzählen.

Zunächst einmal: das Brandenburger Tor steht in Berlin. Und zwar genauer gesagt am Pariser Platz im Berliner Bezirk Mitte. Es ist eine Sehenswürdigkeit und das Wahrzeichen Berlins – und ein Symbol der deutschen Einheit. Ich erkläre dir gleich, warum das so ist. Aber erstmal ein wenig Geschichte.

Eigentlich war das Brandenburger Tor eines von 18 Stadttoren in Berlin. Es ist das einzige, das heute noch steht. Und weil es in Richtung Brandenburg wies beziehungsweise die Straße die hindurchführte, wurde es Brandenburger Tor genannt. 

König Friedrich Wilhelm II. wollte ein Tor für den prächtigen Boulevard Unter den Linden. Das ist eine sehr breite Straße mit Bäumen und imposanten Häusern. Also gab er den Auftrag, ein Tor aus Sandstein zu bauen. Dieses sollte am Ende der Straße stehen. Von 1788 bis 1791 wurde es gebaut. Es ist 62,5 Meter breit, 20,3 Meter hoch und 11 Meter tief. Der Architekt orientierte sich dabei an der Athener Akropolis. Kennst du das Brandenburger Tor? Es hat zwei hohe Säulenreihen, die von einem Dach getragen werden. (Das ist natürlich falsch! Es ist andersrum: Es hat ein Dach, das von zwei hohen Säulenreihen getragen wird. Tut mir leid!) Die Säulen stehen aber nicht alleine da, sondern sind mit Mauern verbunden. Das war statisch nötig, sonst wäre das schwere Dach eingebrochen. Es ist eines der ersten klassizistischen Bauwerke in Preußen.

Brandenburger Tor / Foto: Larissa Vassilian

Zwei Jahre nach der Fertigstellung des Tores setzte man noch die Quadriga auf das Tor, also einen Streitwagen, der von vier Pferden gezogen wird. Im Wagen steht die Siegesgöttin Victoria. Die Quadriga ist 6 Meter hoch. Das Gespann sollte den Frieden symbolisieren, der in die Stadt kommt. In der Hand hielt sie einen Stab mit einem eisernen Kreuz und einem Lorbeerkranz sowie mit einem preußischen Adler. Diese Skulptur war übrigens nicht immer auf dem Brandenburger Tor. 1806 schnappte sich Napoleon die Quadriga und nahm sie mit nach Paris. Acht Jahre später kam sie wieder nach Berlin zurück. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Tor stark beschädigt, die Quadriga wurde in den Jahren danach entfernt und durch eine Kopie ersetzt. Vom Original ist nur noch ein Pferdekopf erhalten, der im Museum ist.

So, jetzt kommen wir zum wichtigen Teil: wie du weißt, wurde Berlin in zwei Teile geteilt. Da war der östliche Teil, der nach dem Krieg zur DDR gehörte, und der westliche Teil, der zur BRD gehörte. Die Berliner Mauer wurde 1961 gebaut. Mitten durch die Stadt. Und das Brandenburger Tor lag genau auf dieser Grenze und landete so im Sperrbereich. Niemand konnte mehr näher heran. Wenn du heute mal in Berlin unterwegs bist und zum Brandenburger Tor gehst, dann schau mal auf den Boden. Dort siehst du eine Linie aus Pflastersteinen, die hinter dem Tor verläuft. Dort stand die Mauer. Du kannst dir auch im Internet alte Fotos ansehen – für uns heute ist das kaum zu glauben, wie das Brandenburger Tor damals aussah.

Die DDR-Führung ließ damals den Adler und das Kreuz entfernen. Nach der Wiedervereinigung wurde beides wieder hinzugefügt und das Tor renoviert. Am 22. Dezember 1989 feierten 100.000  Menschen die Öffnung des Tores. Deswegen gilt es als Symbol der deutschen Einheit. Sie kletterten auch hoch bis zur Quadriga und stahlen zum Beispiel das Zaumzeug. Da das Bauwerk seit dem Mauerbau kaum gepflegt worden war, musste es restauriert werden. Heute kostet es 200.000 Euro im Jahr, um das Brandenburger Tor so zu erhalten, wie es ist. 

Heute steht das Tor nicht mehr so alleine da wie zu Zeiten der Mauer. Außenrum sind viele Gebäude entstanden, es sind Banken, Botschaften, die Universität der Künste, Cafés und natürlich steht auch das berühmte Hotel Adlon in der Nähe. Auf der anderen Seite ist das Reichstagsgebäude, also das politische Herz Deutschlands. Übrigens: Schau doch mal auf die Rückseite der deutschen Euromünzen. Auf den kleinen Münzen für 10, 20 und 50 Cent siehst du das Brandenburger Tor abgebildet. 

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg245kurz.pdf

Deutschlands neuer Kanzler: Olaf Scholz – SG #244

Deutschlands neuer Kanzler: Olaf Scholz – SG #244

Deutschland hat einen neuen Kanzler. Er heißt Olaf Scholz. Ich erzähle Dir heute, wer das ist.

16 Jahre lang war Angela Merkel unsere Kanzlerin. Jetzt hat sich das geändert. Denn im September wurde gewählt. Drei Parteien konnten die Mehrheit der Stimmen für sich gewinnen und haben sich zusammengetan, und wir haben jetzt eine Koalition aus SPD, FDP und den Grünen. Da die Farben dieser Parteien rot, gelb und grün sind, wird die Koalition „Ampel“ genannt. Einige Monate hat es gedauert, bis sich diese drei Parteien auf gemeinsame Ziele einigen konnten. Das nennt man Koalitionsvertrag. Und dann galt es eine neue Regierung zu bilden. Das sind also die Minister und der Kanzler. Es gibt jetzt 7 neue Ministerinnen und 7 Minister. Und einen neuen Kanzler, Olaf Scholz von der SPD.

Am Mittwoch, 8. Dezember 2021, wurde er zum neuen Kanzler. Wie geht das? Im Bundestag steht der Punkt „Wahl des Bundeskanzlers“ an diesem Tag auf der Tagesordnung. Das heißt, dass die im September neu gewählten Abgeordneten des Bundestages wählen dürfen. Bekommt Olaf Scholz mindestens 369 Stimmen, ist er im ersten Durchgang gewählt. Die Koalition hat momentan 416 Stimmen. Diskutiert wird über diese Sache nicht – jede und jeder Abgeordnete darf geheim seine Stimme abgeben. Bei Merkel dauerte das ungefähr eine Stunde. Wenn alle gewählt haben, verkündet die Bundestagspräsidentin das Ergebnis. Dann wird Olaf Scholz gefragt, ob er die Wahl annimmt. Danach geht er auf eine kleine Reise: Er muss ins Berliner Schloss Bellevue fahren, wo der Bundespräsident auf ihn wartet. Der muss ihn nämlich noch offiziell ernennen. Dann muss Scholz wieder zurück in den Bundestag, um dort vereidigt zu werden. Und dann muss er wieder ins Schloss Bellevue, denn dort wird der Bundespräsident noch die neuen Bundesministerinnen und Bundesminister ernennen. Dann geht es wieder in den Bundestag, wo diese vereidigt werden. Am Nachmittag übergibt dann Angela Merkel offiziell ihr Amt an Olaf Scholz. Ein langer Tag, oder? 

Olaf Scholz ist kein Unbekannter in Deutschland. Er war seit 2018 Vizekanzler, also der Stellvertreter der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und er war Finanzminister. Was noch? Er war früher Bundesminister für Arbeit und Soziales und auch mal Erster Bürgermeister von Hamburg. Schauen wir uns diesen Mann genauer an.

Olaf Scholz wurde 1958 in Osnabrück, also in Niedersachsen, geboren. Er studierte Jura und wurde Rechtsanwalt. Schon 1975, da ging er noch zur Schule, wurde er politisch aktiv. Und zwar gleich bei der SPD. Er begeisterte sich so sehr für die Politik, dass er verschiedene Ämter hatte. Zum Beispiel wurde er Vorsitzender eines SPD-Kreisverbandes und später auch Vorsitzender der SPD Hamburg. Von der regionalen Politikarbeit ging es dann nach oben: Er wurde 2002 Generalsekretär der SPD. Und dann war er eben Vizekanzler, als die CDU/CSU mit der SPD eine große Koalition bildeten. Privat ist er verheiratet und kinderlos.

Angela Merkel gab eines Tages bekannt, dass sie nicht noch einmal als Kanzlerin zur Verfügung stehen würde. Das Rennen war eröffnet. Alle Parteien überlegten, welche Kandidatinnen und Kandidaten sie in den Wahlkampf schicken würden. Wer also die größten Chancen hatte, das Amt zu übernehmen. Die SPD entschied sich für Olaf Scholz. Für die Grünen ging Annalena Baerbock in den Wahlkampf und für die CDU/CSU Armin Laschet. Diese drei Menschen sah man also diesen Sommer sehr oft im Fernsehen bei Debatten. 

Was ist nun Olaf Scholz für ein Mensch? Nun, ich kann das natürlich nicht beurteilen, ich kenne ihn nicht persönlich. Er wirkt sehr sachlich und nüchtern auf mich. Er ist niemand, der poltert oder ausflippt, niemand der emotional wird. Er bleibt sachlich und ruhig und lässt sich nur schwer provozieren. Das hat ihm auch den Namen „Scholzomat“ eingebracht. In der SPD gilt er eher als konservativ. Dennoch macht er sich für Klimapolitik stark, was ich enorm wichtig finde. 

Kritik gab es in der Vergangenheit vor allem in zwei Punkten. Zum einen ging es darum, wie er den G20-Gipfel 2017 in seiner Stadt Hamburg begleitete. Damals kam es vor Ort zu Ausschreitungen, also zu Kämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei. Es gab Ermittlungsverfahren gegen Polizisten. Der Vorwurf: sie seien zu brutal gegen die Demonstranten vorgegangen. 

Der zweite Kritikpunkt betrifft eine komplizierte Sache, und zwar die Cum-Ex-Geschäfte einer Bank. Das zu erklären ist hier zu schwierig. Letzten Endes geht es um illegale Finanzgeschäfte einer Bank. Das Hamburger Finanzamt hätte Steuern von dieser Bank zurückbekommen können – hat dieses Geld aber nie bekommen. Welche Rolle Scholz in dieser Sache genau gespielt hat, kann ich nicht beurteilen. 

Was bedeutet der neue Kanzler nun für Deutschland? Ich bin gespannt. Mir gefällt die neue Regierung. Es sind viele junge Ministerinnen und Minister – und die Hälfte von ihnen sind Frauen. Das wirkt also alles sehr gut auf mich. Ob sie nun alle ihre Arbeit gut machen oder nicht, das ist die Frage. Ich freue mich jedenfalls, dass ein ruhiger, sachlicher Mann das Ruder übernimmt. Vom Temperament her ist er also keine große Veränderung zu Angela Merkel. Seine Amtszeit wird schwer werden, denn die Pandemie ist noch nicht vorbei und Deutschland geht es nicht gut. Ich wünsche ihm und seiner Regierung jedenfalls gutes Gelingen. Und ich hoffe, dass die Opposition, also die Parteien die nicht in der Regierung sind, sachlich bleibt und mithilft. Wir werden sehen.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg244kurz.pdf

Der große Zapfenstreich – SG #243

Der große Zapfenstreich – SG #243

Angela Merkel war 16 Jahre lang die Kanzlerin von Deutschland. Jetzt wurde sie verabschiedet. Wie immer, wenn ein Kanzler oder eine Kanzlerin verabschiedet wird, wird das mit einer besonderen Zeremonie getan. Diese Zeremonie heißt „Der große Zapfenstreich“. Darüber möchte ich dir heute etwas erzählen.

Fangen wir mal mit dem Wort Zapfenstreich an. Was bedeutet das? Dieses Wort ist sehr alt. Damit wurden sozusagen die Soldaten oder Söldner abends ins Bett geschickt. Nach dem Zapfenstreich sollten sie in ihrem Quartier bleiben, also nicht mehr draußen sein. Auch heute noch wird das Wort beim Militär verwendet. Wenn ein junger Mann oder eine junge Frau bei der Bundeswehr die Grundausbildung macht, dann ist der Zapfenstreich um 23 Uhr. Als Hintergrund kann man sagen, dass die Soldaten eben schlafen gehen sollten, anstatt zum Beispiel Alkohol zu trinken. Sie sollten ja am nächsten Tag wieder fit für den Kampf sein.

Der erste „Große Zapfenstreich“ als Ehre bei einem besonderen Anlass fand 1838 statt. Damals war der russische Zar Nikolaus I. zu Besuch und das Militär ehrte ihn mit der Zeremonie. Dieser „Große Zapfenstreich“ ist bis heute eine Militärzeremonie am Abend, also im Dunkeln, bei der es sowohl Musik als auch Fackeln und Soldaten in Formation zu sehen und zu hören gibt. Es ist heute die höchste Auszeichnung, die das Militär einer nicht militärischen Person geben kann. Drei Politikerposten bekommen einen großen Zapfenstreich bei ihrer Verabschiedung: Die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident und die Verteidigungsministerin. Aber natürlich bekommen auch wichtige Militärs wie Generäle eine derartige Verabschiedung. Die Zeremonie dauert ungefähr 20 Minuten und hat einen ganz genau festgelegten Ablauf. 

Zapfenstreich / Bild: Verteidigungsministerium/Wilke

Am 2. Dezember 2021 wurde Angela Merkel in Berlin mit dem „Großen Zapfenstreich“ aus dem Amt verabschiedet. Die Zeremonie wurde natürlich im Fernsehen übertragen. Zunächst hielt Angela Merkel eine kleine Rede, in der es um ihre Zeit als Kanzlerin ging, aber natürlich auch um die aktuelle Situation in der Pandemie. Sie hätte ihre Arbeit immer mit „Fröhlichkeit im Herzen“ erledigt, sagte sie. 

Danach kam der Aufmarsch. Das bedeutet, dass die Soldaten zur Musik des „Yorckschen Marsches“ von Ludwig van Beethoven auf den Platz kamen. Die Musik kam natürlich nicht vom Band, sondern wurde vom Musikkorps der Bundeswehr und einem Spielmannszug live gespielt. Danach kamen drei Stücke, die sich Angela Merkel ausgesucht hatte: „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen, einer frühen deutschen Punk-Ikone. Dann „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, das Hildegard Knef gesungen hatte. Und am Schluss ein Kirchenlied.

Es ist immer interessant, welche Lieder sich die scheidenden Kanzler aussuchen. Merkels Vorgänger Gerhard Schröder beispielsweise ließ die Blaskapelle „My Way“ von Frank Sinatra spielen und „Summertime“ von George Gershwin. Bei Helmut Kohl war es 1998 die Europahymne.

Wegen der Pandemie waren weniger Gäste eingeladen als sonst. Die Gäste waren natürlich vor allem hochrangige Politiker und Politikerinnen. Sie saßen mit Abstand auf einer Tribüne und mit 2G+ – waren also alle genesen oder geimpft und zusätzlich getestet. Soweit ich sehen konnte trugen zudem alle eine Maske. Es war sehr kalt und windig, aber der Zapfenstreich dauert ja nicht lange. 

Nach den drei Liedern, die Angela Merkel sich ausgesucht hatte, folgten weitere festgelegte Stücke – und dann natürlich die deutsche Nationalhymne. Danach fuhr Angela Merkel mit ihrem Mann in einer schwarzen Limousine davon und winkte ein letztes Mal. Sie ist 67 Jahre alt und geht jetzt nach turbulenten 16 Jahren im Amt in den wohlverdienten Ruhestand.

Ein Wort noch zum Schluss: Am großen Zapfenstreich wird oft Kritik geübt. Militärparaden, wie andere Länder sie kennen, sind in Deutschland unüblich. Also wird auch diese Militärzeremonie vor allem von Pazifisten kritisiert. Viele fühlen sich durch den Fackelmarsch in Berlin an die Nazizeit erinnert, die natürlich große Auftritte und Pomp liebte. Verteidigt wird der Zapfenstreich von vielen Menschen die sagen, dass damit ja das Militär eine zivile Person ehrt. Du kannst dir gerne deine eigene Meinung zu diesem Ritual bilden. Schau es Dir doch an! Ich verlinke den Zapfenstreich von Angela Merkel auf slowgerman.com.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg243kurz.pdf

Die deutschen Kolonien – SG #242

Die deutschen Kolonien – SG #242

Was für eine komische Vorstellung: Nach Afrika fahren und dort die deutsche Sprache zu hören. Die europäischen Kulturen haben sich gerne in der ganzen Welt ausgebreitet. So auch Deutschland. Über die deutschen Kolonien spricht aber heute kaum noch jemand. Ich erzähle Dir etwas darüber.

Was brauchte man, um eine Kolonie aufzubauen? Zunächst mal braucht man Schiffe, um überhaupt in die anderen Länder fahren zu können. Und natürlich politische Ziele, das eigene Land auszuweiten. Andere Länder wie England, Frankreich, Portugal und Spanien hatten beides und waren sehr erfolgreich mit ihren Kolonien. Deutschland nicht. Ein paar Versuche gab es, aber sie waren ohne Erfolg. Gut, eine einzige Kolonie schaffte es früh: 1683 wurde eine deutsche Festung in Ghana gebaut, um mit Gold und Sklaven zu handeln. Mehr passierte lange Zeit nicht. Gut, Deutschland war auch kein geeintes Land, sondern bestand aus vielen kleinen Einzelstaaten. Das war sicher ein Grund dafür. Erst 1871 wurde das Deutsche Reich gegründet – dazu gibt es mehr in der Slow German-Episode 172 zu Otto von Bismarck.

In der Verfassung des Deutschen Reiches gab es nun auch einen Artikel über „die Kolonisation“. Also war der politische Wille jetzt da. Schiffe hatte man mittlerweile auch. Reichskanzler Otto von Bismarck war aber nicht begeistert vom Gedanken der Kolonien. Die Kosten für so eine Kolonie würden oft den Nutzen übersteigen, sagte er. Und die deutsche Marine sei noch nicht weit genug entwickelt.

Statt ganze Länder zu kolonialisieren, baute Deutschland einzelne kleine Stützpunkte auf. 1868 wurde ein deutsches Marine-Krankenhaus in Japan gebaut, es gab Stützpunkte in China und Japan für die deutschen Schiffe und Marinesoldaten. Später dann auch in Afrika. Im Deutschen Reich fanden immer mehr Menschen den Gedanken von deutschen Kolonien reizvoll. Es wurden Vereine gegründet, viele Menschen wollten auswandern. Nach der Reichsgründung im Jahr 1871 wanderten pro Jahr ungefähr 200.000 Menschen aus – viele von ihnen nach Amerika. Aber immerhin einige Zehntausend zogen auch in die neuen Kolonien in Afrika.

1884 gab es dann eine aus heutiger Sicht skurrile Konferenz in Berlin: Bei der „Kongo-Konferenz“ verhandelten die USA, Deutschland und das Osmanische Reich darum, welche Bereiche Afrikas sie unter sich aufteilen könnten. Viel war nicht übrig, weil andere Länder sie schon kolonialisiert hatten. Der Rest wurde dann also verteilt. Die afrikanische Bevölkerung wurde nicht nach ihrer Meinung gefragt. Und so reisten einige Kolonialherren nach Afrika und nahmen sich das Land – entweder sie kauften es für wenig Geld oder sie nahmen es sich mit Gewalt.

So lief es oft ab: Privatmenschen, das waren meistens Kaufleute, gingen ins Ausland. Dort bauten sie sich etwas auf und baten dann Deutschland um Schutz. Bismarck nannte die Kolonien daher auch lieber „Schutzgebiete“.

Deutsch-Südwestafrika war das heutige Namibia, Deutsch-Ostafrika war im heutigen Tansania, Burundi und Ruanda. Man schickte Polizisten und Beamte in die neuen Kolonien, baute Schulen, Kirchen und Kultureinrichtungen. Auch christliche Missionare waren unterwegs, um die Menschen in Afrika vom christlichen Glauben zu überzeugen.

Was gab es noch? In Afrika noch Togo und Kamerun. Im Pazifik Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa. Dort baute man Kaffee, Kakao und Kokosnüsse an. In den Kolonien gab es nunmal viele Dinge, die es in Deutschland nicht gab – für den Handel waren sie also sehr interessant. Einen Gewinn brachten die Kolonien aber dennoch nicht. Trotzdem war 1884 das deutsche Kolonialreich nach dem britischen und französischen flächenmäßig das Größte.

Ein geflügeltes Wort wurde der Ausspruch des späteren Kanzlers Bernhard von Bülow. Er forderte einen „Platz an der Sonne“. Es wurden nur noch kleine Bereiche in China erworben und ein paar kleine Inseln. Ich möchte hier auch nicht alle Gebiete aufzählen, denn darum geht es nicht. Wichtiger ist, was eigentlich der Gedanke hinter diesen Kolonien war. Man wollte zum einen einen Vorteil für Handelsbeziehungen. Das kann ich noch verstehen, wenn man es fair getan hätte. Zum anderen wurde aber kaum Rücksicht genommen auf die Menschen, die bereits in diesen Ländern lebten.

Und damit sind wir bei der dunklen Seite der deutschen Kolonialzeit. Die Deutschen kamen zum Beispiel nach Deutsch-Südwestafrika und machten sich dort breit. Sie nahmen sich mit Gewalt, was sie haben wollten. Die Einheimischen hatten immer weniger Platz für ihre Rinder. Oft wurden sie in die Armut getrieben. Auf Angriffe reagierten die Deutschen mit Gewalt: Sie verbrannten Dörfer, nahmen den Menschen Schutz vor wilden Tieren.

1904 kam es zu einem Konflikt zwischen Kriegern der Herero und deutschen Siedlern. Es folgte eine Schlacht, bei der die einheimischen Herero in die Wüste getrieben wurden. Sie verdursteten. Historiker sagen heute, dass das ein Völkermord war. Der deutsche Generalleutnant hatte sie nicht nur vertreiben wollen, sondern ihnen absichtlich den Zugang zu Wasserstellen versperrt. Geschätzt überlebte nur ein Viertel der Herero dieses Verbrechen. Einem anderen Volk, den Nama, ging es ähnlich. Insgesamt sollen 75.000 afrikanische Menschen umgebracht worden sein.

Die Deutschen lernten zwar aus diesen Kriegen und stellten ihre Politik um. Aber lang dauerte die Kolonialzeit dennoch nicht mehr. Denn auch in der europäischen Heimat war es mittlerweile nicht mehr friedlich: Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Fast alle  deutschen Kolonien fielen an die Alliierten, das besiegelte der Versailler Vertrag im Jahr 1920. Im Zweiten Weltkrieg dann plante Adolf Hitler eine Kolonialisierung Afrikas – zum Glück wurde dieser Alptraum nie wahr.

Und heute? In Namibia gibt es noch knapp 20.000 deutschsprachige Bewohner. Die namibische Armee arbeitet mit der Bundeswehr zusammen. Sonst ist der deutsche Einfluss im Rest der Welt nicht mehr groß.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg242kurz.pdf

Bundestagswahl 2021 in Deutschland – SG #241

Bundestagswahl 2021 in Deutschland – SG #241

In Deutschland gibt es momentan nur drei Themen: Die Corona-Pandemie, die Klimakrise und die Bundestagswahl. Am 26. September wird in Deutschland gewählt, und diese Wahl ist etwas Besonderes. Denn danach haben wir einen neuen Kanzler – oder eine neue Kanzlerin. Überall hängen Wahlplakate, im Fernsehen laufen zahllose Politik-Sendungen, und sogar Kinder diskutieren über das Thema, wie ich letztens gehört habe.

Jeder deutsche Staatsbürger und jede deutsche Staatsbürgerin darf ab dem Alter von 18 Jahren wählen. Über das Wahlalter wird übrigens diskutiert – manche Parteien möchten auch jüngeren Menschen erlauben, an Wahlen teilzunehmen. Bis jetzt liegt die Grenze aber bei 18 Jahren.

Zum ersten Mal dürfen bei dieser Bundestagswahl auch behinderte, schuldunfähige und psychisch kranke Menschen teilnehmen – das hat das Bundesverfassungsgericht 2019 beschlossen. Das sind immerhin 85.000 Deutsche.

Blicken wir mal zurück zur letzten Bundestagswahl. Die fand 2017 statt. Damals wählten 76,2 Prozent aller Menschen, die wahlberechtigt waren. Man kann auch sagen: Die Wahlbeteiligung lag bei 76,2 Prozent. Gewonnen hat damals die Union, das sind die beiden Parteien CDU und CSU, mit 32,9 Prozent. Danach kam die SPD mit 20,5 Prozent, die AfD mit 12,6 Prozent, die FDP mit 10,7 Prozent und die Linke mit 9,2 Prozent. Die Grünen waren damals bei 8,9 Prozent. Das bedeutete, dass die AfD zum ersten Mal in den Bundestag kam. Dafür muss eine Partei nämlich über die sogenannte 5-Prozent-Hürde kommen. Mehr zum politischen System gibt es übrigens in Folge 31 von Slow German.

Ihr habt es schon ausgerechnet: Eine absolute Mehrheit hatte die Union damals nicht. Also musste sie sich sozusagen einen Partner suchen. Man nennt das „Sondierungsgespräche“. Da sprechen die Politiker und Politikerinnen verschiedener Parteien miteinander um zu sehen, ob eine Kooperation möglich ist. Vier Wochen dauerte das. Letzten Endes wurde es eine sogenannte Große Koalition, also eine Regierung aus SPD und Union. Soviel zum Rückblick. Kanzlerin blieb Angela Merkel, die diesen Job seit 2005 macht.

Bei der diesjährigen Bundestagswahl sieht die Sache etwas anders aus. Angela Merkel hat gesagt, dass sie nicht mehr Kanzlerin sein möchte. Also streiten sich gerade drei Menschen in Deutschland darum, wer der beste Kanzler oder die beste Kanzlerin wäre. Man nennt sie Kanzlerkandidat und Kanzlerkandidatin. Für die SPD tritt Olaf Scholz an, er war Bürgermeister von Hamburg und ist jetzt Finanzminister. Für die Union geht Armin Laschet ins Rennen, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Und für die Grünen tritt Annalena Baerbock an, sie wäre mit 40 Jahren die jüngste Kanzlerin, die Deutschland je hatte – und die einzige mit Kindern. Diese drei liefern sich nun also Fernseh-Debatten, sie geben unzählige Interviews und machen Wahlkampf. Es gab kleine und größere Skandale – und wir sind gespannt, wer gewinnt. In der aktuellen Umfrage zwei Wochen vor der Wahl führt die SPD, gefolgt von der Union und den Grünen.

Es gibt aber natürlich weitaus mehr Parteien als die genannten. Insgesamt machen 47 Parteien bei der Bundestagswahl mit, es ist also ein sehr langer Zettel, auf dem wir unsere beiden Kreuzchen machen dürfen. Ich kann das bestätigen, denn ich habe schon per Briefwahl gewählt. Normalerweise gehe ich in das nächste Wahllokal, um dort zu wählen. Bei uns hier ist das in der Grundschule, ich habe aber auch schon im Gebäude einer Feuerwehr-Station gewählt. Dieses Mal muss ich am Wahlsonntag arbeiten, also habe ich per Briefwahl gewählt.

Ich konnte zwei Stimmen abgeben: Die Erststimme und die Zweitstimme. Bei der Erststimme standen die Kandidaten und Kandidatinnen, die hier bei mir in der Region für ihre Parteien antreten. Es gibt in Deutschland 299 Wahlkreise, in jedem leben ungefähr 250.000 Menschen. Und mit meiner Erststimme habe ich also einen Menschen aus meinem Wahlkreis gewählt. Wer die meisten Stimmen in einem Wahlkreis bekommt, darf mit einem sogenannten Direktmandat nach Berlin in den Bundestag. Es gibt dann also 299 Bundestags-Abgeordnete, für jeden Wahlkreis ist das ein Politiker oder eine Politikerin.

Wichtiger ist aber die Zweitstimme: da geht es um die Partei. Welche Partei bekommt die meisten Zweitstimmen und bekommt damit mehr Platz im Bundestag? Wer 20 Prozent der Zweitstimmen hat bekommt auch mindestens 20 Prozent der Sitze im Bundestag. Mal vereinfacht gesagt. Dann gibt es noch einige Besonderheiten im deutschen Wahlrecht, die lasse ich hier aber mal weg. Bis zu 1000 Abgeordnete könnte unser neuer Bundestag haben – so viele wie noch nie. Und das wird übrigens auch ganz schön teuer…

So, jetzt weißt Du also, wie sich der deutsche Bundestag zusammensetzt. Aus jeder Region sind Menschen dort, und die Parteien sind unterschiedlich stark vertreten, je nachdem wie wir sie wählen. Dann müssen sie sich noch zu Koalitionen zusammenschließen, um eine Mehrheit zu haben. Nur so können sie Entscheidungen treffen. Und wie kommen wir nun zu einer neuen Kanzlerin oder einem neuen Kanzler? Der Bundespräsident schlägt jemanden vor, der gute Chancen für das Amt hat – dieses Jahr also Laschet, Baerbock oder Scholz. Dann wird im Bundestag geheim gewählt: Mit absoluter Mehrheit können sich die Abgeordneten für den vorgeschlagenen Kandidaten oder die Kandidatin entscheiden. Danach muss der Bundespräsident ihn oder sie noch ernennen, das ganze also offiziell machen. Wir müssen also noch etwas Geduld haben, bis wir wissen, wer Deutschland in Zukunft regiert. Bis dahin macht Angela Merkel einfach weiter.

Übrigens gibt es zu jeder Wahl in Deutschland den Wahl-O-Mat. Das ist eine Internetseite und eine App, bei der man Fragen beantworten kann – und am Ende erfährt man, welche Partei am besten zu den eigenen Antworten passt. Mach doch einfach mal mit!

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg241kurz.pdf