Das beschäftigt Deutschland im Oktober 2022 – SG #249

Das beschäftigt Deutschland im Oktober 2022 – SG #249

Ich habe eine lange Pause gemacht mit dem Podcast – das passiert. Slow German gibt es seit 2007, und manchmal habe ich einfach keine Zeit oder keine Lust auf dieses kleine Projekt. Umso mehr freue ich mich aber, dass Du dabei geblieben bist und mir weiter zuhörst und mich unterstützt!

Heute wollte ich Dir einfach mal erzählen, welche Themen in Deutschland gerade wichtig sind. Ich würde sagen das wichtigste Thema ist gerade die Energieversorgung. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat Deutschland ein großes Problem. Denn bislang hat Deutschland viel Erdgas aus Russland bekommen. Dieses Gas kam durch eine Pipeline namens Nord Stream 1 direkt durch die Ostsee. Jetzt aber nicht mehr. Also muss Deutschland sein Gas aus anderen Ländern beziehen – und sparen. Wir wurden also alle aufgefordert, Gas zu sparen, zum Beispiel indem wir weniger heizen. Durch die Knappheit wird auch erwartet, dass wir für Gas mehr zahlen müssen. Wieviel mehr, weiß niemand. Aber vielen Menschen macht das Angst.

Durch diese Energiekrise wird viel auf die Politik geschimpft. Wer ist schuld daran, dass Deutschland so abhängig von russischem Gas ist? Warum gibt es keine guten Alternativen? Warum haben wir Windkraft und Sonnenenergie nicht weiter ausgebaut in den vergangenen Jahren? Und dann ist da noch die Diskussion darüber, ob wir die Atomkraftwerke länger betreiben sollen. Eigentlich hat Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie längst beschlossen – aber nun brauchen wir sie wohl wieder. Also hat Bundeskanzler Scholz nun verkündet, dass drei Kernkraftwerke noch bis April weiterlaufen dürfen.

Der Ukraine-Krieg und die Pandemie haben auch dafür gesorgt, dass viele Dinge teurer geworden sind oder dass man viele Dinge gar nicht mehr im Geschäft kaufen kann. Es gibt Lieferengpässe und leere Regale. Zum Beispiel gibt es in manchen Supermärkten kein Katzenfutter zu kaufen. Während das in manchen anderen Ländern normal ist, ist es für uns in Deutschland sehr neu und dadurch macht es uns Angst. Wir sind es gewohnt, dass wir im Supermarkt alles kaufen können. Immer. Die Regale sind normalerweise immer voll. Wir sind sehr verwöhnt.

Die Menschen in Deutschland denken also derzeit an den kommenden Winter. An die kalten Temperaturen. Daran, ob sie es sich noch leisten können, die Wohnung zu heizen. Dadurch sind andere Themen in den Hintergrund gerückt. Zum Beispiel die Frage, wie es den ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland geht. Eine Million Menschen sind seit Februar im Zusammenhang mit dem Krieg nach Deutschland gekommen. Sie dürfen in der ganzen EU arbeiten, ihre Kinder in die Schule schicken, haben ein Recht auf Unterkunft und Sozialleistungen.  

Und was ist mit Corona? Ich habe den Eindruck, die meisten Menschen sind nur noch genervt von der Pandemie. In München tragen wir in den Bussen und S-Bahnen immer noch Masken. Im Alltag sieht man nur noch wenige Menschen mit Maske, weder beim Einkaufen noch bei Konzerten oder anderen Veranstaltungen. Dennoch gab es großen Ärger, weil in München trotz hoher Inzidenzen das Oktoberfest erlaubt wurde. 17 Tage dauerte das Fest dieses Jahr. In den vergangenen zwei Jahren wurde es wegen der Pandemie abgesagt. Diesmal kamen 5,7 Millionen Menschen auf das größte Volksfest der Welt. Und seitdem sind sehr viele Menschen an Corona erkrankt. 

Zum Schluss noch ein paar kleine aber wichtige Neuigkeiten. Der Mindestlohn ist seit Oktober auf 12 Euro pro Stunde erhöht worden. Das ist doch eine gute Nachricht, oder? Und im nächsten Jahr kommt das Bürgergeld, also ein Grundeinkommen für arbeitssuchende und bedürftige Menschen. Und: Im Sommer gab es drei Monate lang das 9-Euro-Ticket. Mit dem konnte man sehr billig regional mit dem Zug fahren. Das war gut für die Umwelt und gut für die Menschen. Jetzt wird es das 49-Euro-Ticket geben. Dann können wir für 49 Euro im Monat deutschlandweit mit der Regional-Bahn fahren. So wirklich billig ist das leider nicht, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg249kurz.pdf

Deutschlands neuer Kanzler: Olaf Scholz – SG #244

Deutschlands neuer Kanzler: Olaf Scholz – SG #244

Deutschland hat einen neuen Kanzler. Er heißt Olaf Scholz. Ich erzähle Dir heute, wer das ist.

16 Jahre lang war Angela Merkel unsere Kanzlerin. Jetzt hat sich das geändert. Denn im September wurde gewählt. Drei Parteien konnten die Mehrheit der Stimmen für sich gewinnen und haben sich zusammengetan, und wir haben jetzt eine Koalition aus SPD, FDP und den Grünen. Da die Farben dieser Parteien rot, gelb und grün sind, wird die Koalition „Ampel“ genannt. Einige Monate hat es gedauert, bis sich diese drei Parteien auf gemeinsame Ziele einigen konnten. Das nennt man Koalitionsvertrag. Und dann galt es eine neue Regierung zu bilden. Das sind also die Minister und der Kanzler. Es gibt jetzt 7 neue Ministerinnen und 7 Minister. Und einen neuen Kanzler, Olaf Scholz von der SPD.

Am Mittwoch, 8. Dezember 2021, wurde er zum neuen Kanzler. Wie geht das? Im Bundestag steht der Punkt „Wahl des Bundeskanzlers“ an diesem Tag auf der Tagesordnung. Das heißt, dass die im September neu gewählten Abgeordneten des Bundestages wählen dürfen. Bekommt Olaf Scholz mindestens 369 Stimmen, ist er im ersten Durchgang gewählt. Die Koalition hat momentan 416 Stimmen. Diskutiert wird über diese Sache nicht – jede und jeder Abgeordnete darf geheim seine Stimme abgeben. Bei Merkel dauerte das ungefähr eine Stunde. Wenn alle gewählt haben, verkündet die Bundestagspräsidentin das Ergebnis. Dann wird Olaf Scholz gefragt, ob er die Wahl annimmt. Danach geht er auf eine kleine Reise: Er muss ins Berliner Schloss Bellevue fahren, wo der Bundespräsident auf ihn wartet. Der muss ihn nämlich noch offiziell ernennen. Dann muss Scholz wieder zurück in den Bundestag, um dort vereidigt zu werden. Und dann muss er wieder ins Schloss Bellevue, denn dort wird der Bundespräsident noch die neuen Bundesministerinnen und Bundesminister ernennen. Dann geht es wieder in den Bundestag, wo diese vereidigt werden. Am Nachmittag übergibt dann Angela Merkel offiziell ihr Amt an Olaf Scholz. Ein langer Tag, oder? 

Olaf Scholz ist kein Unbekannter in Deutschland. Er war seit 2018 Vizekanzler, also der Stellvertreter der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und er war Finanzminister. Was noch? Er war früher Bundesminister für Arbeit und Soziales und auch mal Erster Bürgermeister von Hamburg. Schauen wir uns diesen Mann genauer an.

Olaf Scholz wurde 1958 in Osnabrück, also in Niedersachsen, geboren. Er studierte Jura und wurde Rechtsanwalt. Schon 1975, da ging er noch zur Schule, wurde er politisch aktiv. Und zwar gleich bei der SPD. Er begeisterte sich so sehr für die Politik, dass er verschiedene Ämter hatte. Zum Beispiel wurde er Vorsitzender eines SPD-Kreisverbandes und später auch Vorsitzender der SPD Hamburg. Von der regionalen Politikarbeit ging es dann nach oben: Er wurde 2002 Generalsekretär der SPD. Und dann war er eben Vizekanzler, als die CDU/CSU mit der SPD eine große Koalition bildeten. Privat ist er verheiratet und kinderlos.

Angela Merkel gab eines Tages bekannt, dass sie nicht noch einmal als Kanzlerin zur Verfügung stehen würde. Das Rennen war eröffnet. Alle Parteien überlegten, welche Kandidatinnen und Kandidaten sie in den Wahlkampf schicken würden. Wer also die größten Chancen hatte, das Amt zu übernehmen. Die SPD entschied sich für Olaf Scholz. Für die Grünen ging Annalena Baerbock in den Wahlkampf und für die CDU/CSU Armin Laschet. Diese drei Menschen sah man also diesen Sommer sehr oft im Fernsehen bei Debatten. 

Was ist nun Olaf Scholz für ein Mensch? Nun, ich kann das natürlich nicht beurteilen, ich kenne ihn nicht persönlich. Er wirkt sehr sachlich und nüchtern auf mich. Er ist niemand, der poltert oder ausflippt, niemand der emotional wird. Er bleibt sachlich und ruhig und lässt sich nur schwer provozieren. Das hat ihm auch den Namen „Scholzomat“ eingebracht. In der SPD gilt er eher als konservativ. Dennoch macht er sich für Klimapolitik stark, was ich enorm wichtig finde. 

Kritik gab es in der Vergangenheit vor allem in zwei Punkten. Zum einen ging es darum, wie er den G20-Gipfel 2017 in seiner Stadt Hamburg begleitete. Damals kam es vor Ort zu Ausschreitungen, also zu Kämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei. Es gab Ermittlungsverfahren gegen Polizisten. Der Vorwurf: sie seien zu brutal gegen die Demonstranten vorgegangen. 

Der zweite Kritikpunkt betrifft eine komplizierte Sache, und zwar die Cum-Ex-Geschäfte einer Bank. Das zu erklären ist hier zu schwierig. Letzten Endes geht es um illegale Finanzgeschäfte einer Bank. Das Hamburger Finanzamt hätte Steuern von dieser Bank zurückbekommen können – hat dieses Geld aber nie bekommen. Welche Rolle Scholz in dieser Sache genau gespielt hat, kann ich nicht beurteilen. 

Was bedeutet der neue Kanzler nun für Deutschland? Ich bin gespannt. Mir gefällt die neue Regierung. Es sind viele junge Ministerinnen und Minister – und die Hälfte von ihnen sind Frauen. Das wirkt also alles sehr gut auf mich. Ob sie nun alle ihre Arbeit gut machen oder nicht, das ist die Frage. Ich freue mich jedenfalls, dass ein ruhiger, sachlicher Mann das Ruder übernimmt. Vom Temperament her ist er also keine große Veränderung zu Angela Merkel. Seine Amtszeit wird schwer werden, denn die Pandemie ist noch nicht vorbei und Deutschland geht es nicht gut. Ich wünsche ihm und seiner Regierung jedenfalls gutes Gelingen. Und ich hoffe, dass die Opposition, also die Parteien die nicht in der Regierung sind, sachlich bleibt und mithilft. Wir werden sehen.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg244kurz.pdf

Der große Zapfenstreich – SG #243

Der große Zapfenstreich – SG #243

Angela Merkel war 16 Jahre lang die Kanzlerin von Deutschland. Jetzt wurde sie verabschiedet. Wie immer, wenn ein Kanzler oder eine Kanzlerin verabschiedet wird, wird das mit einer besonderen Zeremonie getan. Diese Zeremonie heißt „Der große Zapfenstreich“. Darüber möchte ich dir heute etwas erzählen.

Fangen wir mal mit dem Wort Zapfenstreich an. Was bedeutet das? Dieses Wort ist sehr alt. Damit wurden sozusagen die Soldaten oder Söldner abends ins Bett geschickt. Nach dem Zapfenstreich sollten sie in ihrem Quartier bleiben, also nicht mehr draußen sein. Auch heute noch wird das Wort beim Militär verwendet. Wenn ein junger Mann oder eine junge Frau bei der Bundeswehr die Grundausbildung macht, dann ist der Zapfenstreich um 23 Uhr. Als Hintergrund kann man sagen, dass die Soldaten eben schlafen gehen sollten, anstatt zum Beispiel Alkohol zu trinken. Sie sollten ja am nächsten Tag wieder fit für den Kampf sein.

Der erste „Große Zapfenstreich“ als Ehre bei einem besonderen Anlass fand 1838 statt. Damals war der russische Zar Nikolaus I. zu Besuch und das Militär ehrte ihn mit der Zeremonie. Dieser „Große Zapfenstreich“ ist bis heute eine Militärzeremonie am Abend, also im Dunkeln, bei der es sowohl Musik als auch Fackeln und Soldaten in Formation zu sehen und zu hören gibt. Es ist heute die höchste Auszeichnung, die das Militär einer nicht militärischen Person geben kann. Drei Politikerposten bekommen einen großen Zapfenstreich bei ihrer Verabschiedung: Die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident und die Verteidigungsministerin. Aber natürlich bekommen auch wichtige Militärs wie Generäle eine derartige Verabschiedung. Die Zeremonie dauert ungefähr 20 Minuten und hat einen ganz genau festgelegten Ablauf. 

Zapfenstreich / Bild: Verteidigungsministerium/Wilke

Am 2. Dezember 2021 wurde Angela Merkel in Berlin mit dem „Großen Zapfenstreich“ aus dem Amt verabschiedet. Die Zeremonie wurde natürlich im Fernsehen übertragen. Zunächst hielt Angela Merkel eine kleine Rede, in der es um ihre Zeit als Kanzlerin ging, aber natürlich auch um die aktuelle Situation in der Pandemie. Sie hätte ihre Arbeit immer mit „Fröhlichkeit im Herzen“ erledigt, sagte sie. 

Danach kam der Aufmarsch. Das bedeutet, dass die Soldaten zur Musik des „Yorckschen Marsches“ von Ludwig van Beethoven auf den Platz kamen. Die Musik kam natürlich nicht vom Band, sondern wurde vom Musikkorps der Bundeswehr und einem Spielmannszug live gespielt. Danach kamen drei Stücke, die sich Angela Merkel ausgesucht hatte: „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen, einer frühen deutschen Punk-Ikone. Dann „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, das Hildegard Knef gesungen hatte. Und am Schluss ein Kirchenlied.

Es ist immer interessant, welche Lieder sich die scheidenden Kanzler aussuchen. Merkels Vorgänger Gerhard Schröder beispielsweise ließ die Blaskapelle „My Way“ von Frank Sinatra spielen und „Summertime“ von George Gershwin. Bei Helmut Kohl war es 1998 die Europahymne.

Wegen der Pandemie waren weniger Gäste eingeladen als sonst. Die Gäste waren natürlich vor allem hochrangige Politiker und Politikerinnen. Sie saßen mit Abstand auf einer Tribüne und mit 2G+ – waren also alle genesen oder geimpft und zusätzlich getestet. Soweit ich sehen konnte trugen zudem alle eine Maske. Es war sehr kalt und windig, aber der Zapfenstreich dauert ja nicht lange. 

Nach den drei Liedern, die Angela Merkel sich ausgesucht hatte, folgten weitere festgelegte Stücke – und dann natürlich die deutsche Nationalhymne. Danach fuhr Angela Merkel mit ihrem Mann in einer schwarzen Limousine davon und winkte ein letztes Mal. Sie ist 67 Jahre alt und geht jetzt nach turbulenten 16 Jahren im Amt in den wohlverdienten Ruhestand.

Ein Wort noch zum Schluss: Am großen Zapfenstreich wird oft Kritik geübt. Militärparaden, wie andere Länder sie kennen, sind in Deutschland unüblich. Also wird auch diese Militärzeremonie vor allem von Pazifisten kritisiert. Viele fühlen sich durch den Fackelmarsch in Berlin an die Nazizeit erinnert, die natürlich große Auftritte und Pomp liebte. Verteidigt wird der Zapfenstreich von vielen Menschen die sagen, dass damit ja das Militär eine zivile Person ehrt. Du kannst dir gerne deine eigene Meinung zu diesem Ritual bilden. Schau es Dir doch an! Ich verlinke den Zapfenstreich von Angela Merkel auf slowgerman.com.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg243kurz.pdf

Bundestagswahl 2021 in Deutschland – SG #241

Bundestagswahl 2021 in Deutschland – SG #241

In Deutschland gibt es momentan nur drei Themen: Die Corona-Pandemie, die Klimakrise und die Bundestagswahl. Am 26. September wird in Deutschland gewählt, und diese Wahl ist etwas Besonderes. Denn danach haben wir einen neuen Kanzler – oder eine neue Kanzlerin. Überall hängen Wahlplakate, im Fernsehen laufen zahllose Politik-Sendungen, und sogar Kinder diskutieren über das Thema, wie ich letztens gehört habe.

Jeder deutsche Staatsbürger und jede deutsche Staatsbürgerin darf ab dem Alter von 18 Jahren wählen. Über das Wahlalter wird übrigens diskutiert – manche Parteien möchten auch jüngeren Menschen erlauben, an Wahlen teilzunehmen. Bis jetzt liegt die Grenze aber bei 18 Jahren.

Zum ersten Mal dürfen bei dieser Bundestagswahl auch behinderte, schuldunfähige und psychisch kranke Menschen teilnehmen – das hat das Bundesverfassungsgericht 2019 beschlossen. Das sind immerhin 85.000 Deutsche.

Blicken wir mal zurück zur letzten Bundestagswahl. Die fand 2017 statt. Damals wählten 76,2 Prozent aller Menschen, die wahlberechtigt waren. Man kann auch sagen: Die Wahlbeteiligung lag bei 76,2 Prozent. Gewonnen hat damals die Union, das sind die beiden Parteien CDU und CSU, mit 32,9 Prozent. Danach kam die SPD mit 20,5 Prozent, die AfD mit 12,6 Prozent, die FDP mit 10,7 Prozent und die Linke mit 9,2 Prozent. Die Grünen waren damals bei 8,9 Prozent. Das bedeutete, dass die AfD zum ersten Mal in den Bundestag kam. Dafür muss eine Partei nämlich über die sogenannte 5-Prozent-Hürde kommen. Mehr zum politischen System gibt es übrigens in Folge 31 von Slow German.

Ihr habt es schon ausgerechnet: Eine absolute Mehrheit hatte die Union damals nicht. Also musste sie sich sozusagen einen Partner suchen. Man nennt das „Sondierungsgespräche“. Da sprechen die Politiker und Politikerinnen verschiedener Parteien miteinander um zu sehen, ob eine Kooperation möglich ist. Vier Wochen dauerte das. Letzten Endes wurde es eine sogenannte Große Koalition, also eine Regierung aus SPD und Union. Soviel zum Rückblick. Kanzlerin blieb Angela Merkel, die diesen Job seit 2005 macht.

Bei der diesjährigen Bundestagswahl sieht die Sache etwas anders aus. Angela Merkel hat gesagt, dass sie nicht mehr Kanzlerin sein möchte. Also streiten sich gerade drei Menschen in Deutschland darum, wer der beste Kanzler oder die beste Kanzlerin wäre. Man nennt sie Kanzlerkandidat und Kanzlerkandidatin. Für die SPD tritt Olaf Scholz an, er war Bürgermeister von Hamburg und ist jetzt Finanzminister. Für die Union geht Armin Laschet ins Rennen, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Und für die Grünen tritt Annalena Baerbock an, sie wäre mit 40 Jahren die jüngste Kanzlerin, die Deutschland je hatte – und die einzige mit Kindern. Diese drei liefern sich nun also Fernseh-Debatten, sie geben unzählige Interviews und machen Wahlkampf. Es gab kleine und größere Skandale – und wir sind gespannt, wer gewinnt. In der aktuellen Umfrage zwei Wochen vor der Wahl führt die SPD, gefolgt von der Union und den Grünen.

Es gibt aber natürlich weitaus mehr Parteien als die genannten. Insgesamt machen 47 Parteien bei der Bundestagswahl mit, es ist also ein sehr langer Zettel, auf dem wir unsere beiden Kreuzchen machen dürfen. Ich kann das bestätigen, denn ich habe schon per Briefwahl gewählt. Normalerweise gehe ich in das nächste Wahllokal, um dort zu wählen. Bei uns hier ist das in der Grundschule, ich habe aber auch schon im Gebäude einer Feuerwehr-Station gewählt. Dieses Mal muss ich am Wahlsonntag arbeiten, also habe ich per Briefwahl gewählt.

Ich konnte zwei Stimmen abgeben: Die Erststimme und die Zweitstimme. Bei der Erststimme standen die Kandidaten und Kandidatinnen, die hier bei mir in der Region für ihre Parteien antreten. Es gibt in Deutschland 299 Wahlkreise, in jedem leben ungefähr 250.000 Menschen. Und mit meiner Erststimme habe ich also einen Menschen aus meinem Wahlkreis gewählt. Wer die meisten Stimmen in einem Wahlkreis bekommt, darf mit einem sogenannten Direktmandat nach Berlin in den Bundestag. Es gibt dann also 299 Bundestags-Abgeordnete, für jeden Wahlkreis ist das ein Politiker oder eine Politikerin.

Wichtiger ist aber die Zweitstimme: da geht es um die Partei. Welche Partei bekommt die meisten Zweitstimmen und bekommt damit mehr Platz im Bundestag? Wer 20 Prozent der Zweitstimmen hat bekommt auch mindestens 20 Prozent der Sitze im Bundestag. Mal vereinfacht gesagt. Dann gibt es noch einige Besonderheiten im deutschen Wahlrecht, die lasse ich hier aber mal weg. Bis zu 1000 Abgeordnete könnte unser neuer Bundestag haben – so viele wie noch nie. Und das wird übrigens auch ganz schön teuer…

So, jetzt weißt Du also, wie sich der deutsche Bundestag zusammensetzt. Aus jeder Region sind Menschen dort, und die Parteien sind unterschiedlich stark vertreten, je nachdem wie wir sie wählen. Dann müssen sie sich noch zu Koalitionen zusammenschließen, um eine Mehrheit zu haben. Nur so können sie Entscheidungen treffen. Und wie kommen wir nun zu einer neuen Kanzlerin oder einem neuen Kanzler? Der Bundespräsident schlägt jemanden vor, der gute Chancen für das Amt hat – dieses Jahr also Laschet, Baerbock oder Scholz. Dann wird im Bundestag geheim gewählt: Mit absoluter Mehrheit können sich die Abgeordneten für den vorgeschlagenen Kandidaten oder die Kandidatin entscheiden. Danach muss der Bundespräsident ihn oder sie noch ernennen, das ganze also offiziell machen. Wir müssen also noch etwas Geduld haben, bis wir wissen, wer Deutschland in Zukunft regiert. Bis dahin macht Angela Merkel einfach weiter.

Übrigens gibt es zu jeder Wahl in Deutschland den Wahl-O-Mat. Das ist eine Internetseite und eine App, bei der man Fragen beantworten kann – und am Ende erfährt man, welche Partei am besten zu den eigenen Antworten passt. Mach doch einfach mal mit!

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg241kurz.pdf

Muslime in Deutschland – SG #219

Muslime in Deutschland – SG #219

Deutschland ist ein christlich geprägtes Land. Ich habe Dir schon in einer anderen Episode von den Religionen hier erzählt. Heute möchte ich eine Religion herausgreifen, und zwar den Islam. In Deutschland leben ungefähr 4 Millionen Muslime. Das sind etwas mehr als 5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Knapp 2,5 Milionen dieser Menschen haben türkische Wurzeln. 45% der in Deutschland lebenden Muslime sind mittlerweile deutsche Staatsangehörige, haben also einen deutschen Pass. Nach 1961 kamen viele Menschen aus der Türkei nach Deutschland, um hier als sogenannte Gastarbeiter zu arbeiten. Viele von ihnen blieben für immer in Deutschland und bekamen hier Kinder. Deswegen gibt es hier schon viele Türkinnen und Türken in der dritten Generation, die perfekt integriert sind.

Die größte Glaubensrichtung der Muslime in Deutschland bildern die Sunniten mit fast drei Vierteln aller muslimischen Männer und Frauen in Deutschland. Ein Drittel der muslimischen Menschen in Deutschland ist stark gläubig, ihnen ist ihre Religion also sehr wichtig. 50% sind „eher“ gläubig, also etwas weniger als die andere Gruppe. Es gibt mehr als 2000 islamische Gemeinden in Deutschland, in vielen ist ein Imam tätig. Die meisten dieser Imame kommen aus der Türkei für einige Jahre nach Deutschland und gehen dann wieder zurück. Es gibt zwar 159 Moscheen mit Kuppel und Minarett in Deutschland, viele andere Moscheen sind aber eher versteckt und oft am Stadtrand. Das Stadtbild prägen sie nicht – hier sind nur die vielen Kirchen zu sehen.

Um für einen Dialog zwischen den Kulturen zu sorgen, gibt es die Deutsche Islam Konferenz. Sie wurde 2006 vom Bundesministerium des Innern gegründet. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble sagte: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas. Er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft. Muslime sind in Deutschland willkommen. Sie sollen ihre Talente entfalten und sie sollen unser Land mit weiter voranbringen“.

In den Jahren 2011 bis 2015 kamen viele Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland. 2015 war der Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise. In diesen vier Jahren kamen 1,2 Millionen muslimische Menschen nach Deutschland.

Es gibt immer wieder Konflikte, die in der deutschen Gesellschaft diskutiert werden. Gestritten wird zum Beispiel über das Kopftuch, das manche muslimische Frauen tragen. In einigen Bundesländern wurde verboten, dass Lehrerinnen an Schulen und Hochschulen ein Kopftuch tragen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht, also das oberste Gericht Deutschlands, entschieden, dass so ein pauschales Verbot nicht möglich ist. Denn in Deutschland gibt es die Glaubensfreiheit. Menschen dürfen also nicht aufgrund ihrer Religion bestraft oder diskriminiert werden. Allerdings ist es seit 2017 verboten, beim Autofahren einen Gesichtsschleier zu tragen. Hier geht es natürlich um die Verkehrssicherheit.

Es gibt aber noch andere Unterschiede: Bei den Grundschulkindern ist es in Deutschland üblich, dass Jungen und Mädchen gemeinsam Sport machen. Das möchten viele Eltern von muslimischen Mädchen allerdings nicht. Es gibt auch Schwimmunterricht in vielen deutschen Schulen, an denen die muslimischen Mädchen oft nicht teilnehmen dürfen, weil ihre Familien das nicht möchten.

In den deutschen Schulen gibt es Religionsunterricht. Hier im katholischen Bayern haben die Kinder in der dritten und vierten Klasse drei Stunden Religionsunterricht pro Woche. Wer nicht in den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht geht, der kann in einen Alternativunterricht gehen, der sich „Ethik“ nennt. Hier werden die Weltreligionen durchgenommen und viele Philosophien. An 900 Schulen in Westdeutschland und Berlin gibt es mittlerweile auch islamischen Religionsunterricht. Diesen gibt es natürlich nur, wenn genug muslimische Kinder an einer Schule sind. Und wenn es überhaupt organisiert werden kann, einen Lehrer oder eine Lehrerin dafür zu bekommen. 60.000 Kinder nehmen an diesem Religionsunterricht teil.

Es gibt Menschen in Deutschland, die fremdenfeindlich sind. Es gibt auch Menschen, die gezielt gegen den Islam sind. 2019 gab es daher leider 871 Angriffe auf Muslime oder ihre Moscheen oder Treffpunkte. Man nennt das „islamfeindliche Straftaten“. Andere Leute in Deutschland sehen den Islam als Bedrohung für unser Land.

Während wir hier in Deutschland an christlichen Feiertagen frei haben, gibt es keine muslimischen Feiertage bei uns. Allerdings müssen muslimische Kinder zum Beispiel am Tag des Zuckerfestes oder beim Opferfest nicht zur Schule kommen. Manche Kindergärten feiern diese Feiertage mit den Kindern. So lernen die Kinder, welche Bedeutung die Feiertage in verschiedenen Kulturen haben.

Die Quellen für die genannten Zahlen:

https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/staat-und-religion/islam-in-deutschland/islam-in-deutschland-node.html
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb06-muslimisches-leben.pdf/__blob/publicationFile/v%3D11&usg=AOvVaw3U6CoEf_1z_jeHNuYkjVOs
https://mediendienst-integration.de/artikel/islamischer-religionsunterricht-in-deutschland.html

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg219kurz.pdf

Die Gender-Debatte in Deutschland – SG #215

Die Gender-Debatte in Deutschland – SG #215

Es tut mir leid, dass ich in diesem Fall nicht so richtig vom Anglizismus wegkomme. Natürlich kann ich sagen, dass es in der heutigen Episode über die Geschlechterdebatte geht – aber das Wort Gender hat sich in Deutschland mittlerweile durchgesetzt. Es geht heute also um Männer, Frauen – und nicht nur das. Natürlich ist das mal wieder ein Thema, das ich nur oberflächlich besprechen kann. Immerhin gibt es ganze Forschungszweige darüber.

Denn wir reden heute auch über das dritte Geschlecht. So bezeichnen wir Menschen, die sich weder als „männlich“ noch als „weiblich“ einordnen möchten oder können. Seit 2018 dürfen sich diese Menschen in ihren Ausweis das Geschlecht „divers“ eintragen lassen. Der Bundestag hat das als Gesetz verabschiedet. Das bedeutet, dass bei der Geburt eines Kindes auch das „diverse“ Geschlecht eingetragen werden kann, wenn diese Kinder nicht eindeutig das männliche oder weibliche Geschlecht haben. Früher war es so, dass die Eltern sich entscheiden mussten. Seitdem ist es übrigens auch üblich, dass bei Stellenanzeigen zum Beispiel steht „Verkäufer (m/w/d).

Für viele Menschen in Deutschland war das alles ein großes Problem. Sie regten sich auf, als es Diskussionen über Toiletten gab. Ein Beispiel: Eine als Frau geborene Person fühlt sich eigentlich als Mann. Das nennt man transgender. Der Körper bleibt aber der einer Frau, wenn sich diese Person keinen Operationen unterzieht. Auf welche Toilette sollte die Person also gehen? Auf der Frauentoilette würde niemand etwas merken – aber die Person selber würde sich nicht wohlfühlen. Auf der Männertoilette würde sie sich selber gut fühlen, die Männer dort wären aber verwirrt. Daher wurde diskutiert, entweder wieder Unisex-Toiletten einzuführen, also Toiletten für alle Menschen, egal welchen Geschlechts. Oder man wollte spezielle Toiletten bauen, die für all jene wären, die sich weder als „Mann“ noch als „Frau“ sehen.

Als „Gender-Wahn“ oder „Gender-Gaga“ wurden Gespräche über das dritte Geschlecht oft abgetan. Sehr ernst wird auch eine andere Diskussion geführt, und zwar jene um die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Der sogenannte „Gender Pay Gap“ ist natürlich auch in Deutschland ein Thema. Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer mit der gleichen Qualifikation. Oft werden auch die höheren Posten mit Männern besetzt, nicht mit Frauen. In der Politik tut sich da zum Glück einiges: Angela Merkel ist schon sehr lange unsere Kanzlerin. 40 Prozent der Ministerposten sind mit Frauen besetzt. Im Parlament sitzen aber nur 30 Prozent Frauen. Weiterhin bleibt die Familie Frauensache in Deutschland: Nur 55 Prozent der Frauen arbeiten, bei den Männern sind es 78 Prozent.

Ein Thema, das mich gerade sehr beschäftigt, ist das Thema Sprache. Unsere deutsche Sprache geht in der Regel von Männern aus. Ein Beispiel: In den Nachrichten wird von einer aktuellen Forschung berichtet. Der Sprecher sagt dann: „60 Wissenschaftler haben eine Entdeckung gemacht“. Es sind also Wissenschaftler – nicht Wissenschaftlerinnen. Um das zu verhindern, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Lange Zeit sah man dann ein großes „I“ im Wort. Dann waren es also WissenschaftlerInnen. Dieses sogenannte Binnen-I sollte Männer und Frauen gleich behandeln und für eine geschlechtergerechte Sprache sorgen. In der offiziellen deutschen Rechtschreibung gibt es das große „I“ mitten in einem Wort nicht. Und ich hatte auch gerade beim Schreiben des Textes das Problem, dass meine Autokorrektur das große „I“ als Tippfehler entfernt hat. Außerdem sieht es immer aus wie ein kleines „l“, oder?

Wie kann ich denn dann kennzeichnen, dass ich alle Geschlechter meine? Viele verwenden das sogenannte Gendersternchen, also dann wären es die Wissenschaftler*innen. Aber das sieht auch immer komisch aus, finde ich. Es trennt das Wort. Und: Screenreader, die beispielsweise für blinde Menschen den Text vorlesen, lesen dann so wie ich gerade „Wissenschaftler*innen“. Jedes Mal „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ zu sagen ist umständlich. Nur Wissenschaftlerinnen zu sagen und alle zu meinen, wird so nicht erkannt. Ich habe mich dazu entschlossen, den Doppelpunkt zu verwenden – dann sind es also Wissenschaftler:innen.

Was ich übrigens oft im Radio höre, ist entweder eine kleine Pause zwischen dem Wissenschaftler und den „innen“. Also Wissenschaftler:innen. Oder sie versuchen es zu vermeiden, das Geschlecht zu benennen. Dann werden aus Studentinnen und Studenten die Studierenden, aus Forscherinnen und Forschern die Forschenden.

Sprache ist wichtig, um Menschen nicht zu diskriminieren. Vor allem ist aber wichtig, dass wir in unserem Handeln niemanden diskriminieren. Jeder Mensch ist anders. Freuen wir uns darüber.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg215kurz.pdf