Es gibt also diesen Felsen Loreley in Rheinland-Pfalz. Der Rhein ist hier 160 Meter breit und bis zu 25 Meter tief. Es gibt viele Kurven auf dieser Strecke. Dazu kommen noch starke Strömungen – und eben viele Felsen. Damit war und ist diese Stelle für Schiffe gefährlich. Viele Schiffe gingen hier unter – erst in der jüngeren Vergangenheit wurden einige Felsen mitten im Wasser gesprengt, sodass es nicht mehr ganz so gefährlich ist, hier mit dem Schiff zu fahren.
Dennoch passieren auch heute noch Unfälle. Zum Beispiel lief 2003 ein Schiff mit 349 Passagieren auf Grund. Das bedeutet, dass das Schiff auf dem Boden des Flusses aufsetzte. Es ließ sich nicht mehr steuern und prallte nach der Kurve auf das Ufer. 41 Personen wurden verletzt, drei von ihnen schwer.
2011 dann das nächste Unglück an der Loreley, diesmal war es ein Frachtschiff, das 2400 Tonnen Schwefelsäure an Bord hatte. Zwei der vier Besatzungsmitglieder starben bei diesem Unfall.
Heute wissen wir, wie solche Unfälle passieren. Wir können die Strömung berechnen, wir haben Kameras, die unter Wasser funktionieren. Aber stell Dir mal vor, wie das früher war. Wenn an einer bestimmten Stelle immer wieder Menschen starben – dann dachte man nicht an Strömungen im Wasser, sondern an Zwerge oder an Geister.
Der Dichter Clemens Brentano war dann der Erste, der sich statt eines Zwerges lieber eine schöne Frau vorstellte. In seinem Buch war die Lore Lay eine Frau, die wunderschön war und sehr anziehend auf Männer wirkte. Deswegen hielten manche sie für eine Hexe oder eine Zauberin. Nur der eine Mann, den sie wirklich wollte, bekam sie nicht. Er verließ sie für eine andere Frau. Auf dem Weg ins Kloster bat sie darum, noch einmal den Rhein sehen zu dürfen. Vom Felsen aus blickte sie nach unten – und stürzte in die Tiefe. Sie starb. Die Figur der Lore Lay wird zu einer Art Sirene – sie lockt die Männer an und führt sie in den Tod. Viele Menschen denken, das ist eine uralte deutsche Sage – dabei schrieb Brentano sie im Jahr 1800. Er benutzte den Mythos um einen Felsen und schuf eine Geschichte daraus.
Mein Lieblingsdichter Heinrich Heine griff die Geschichte 24 Jahre später auf und schrieb sein wohl berühmtestes Gedicht dazu. Es geht so:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
und ruhig fließt der Rhein;
der Gipfel des Berges funkelt
im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
dort oben wunderbar;
ihr goldnes Geschmeide blitzet,
sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme
und singt ein Lied dabei;
das hat eine wundersame,
gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
ergreift es mit wildem Weh;
er schaut nicht die Felsenriffe,
er schaut nur hinauf in die Höh.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen
die Lore-Ley getan.
Hier sind schöne Aufnahmen der Gegend zu sehen:
Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg230kurz.pdf
Wow! Wie schön! Vielen Dank Annik!
Vielen Dank Annik für diese wunderschöne Geschichte! Ich kenne Lorelay nur aus dem Lied von Scorpions („Lorelay, what kind of fool am I?“:) und jetzt weiß ich die ganze Story:) Das Gedicht von Heinrich Heine ist sehr berührend!