Habt Ihr schon einmal etwas vom Struwwelpeter gehört? Dieses Buch gehört zu den erfolgreichsten deutschen Kinderbüchern und wurde in viele Sprachen übersetzt. Mark Twain hat das Buch beispielsweise ins Englische übersetzt ( Titel: Slovenly Peter). Der Struwwelpeter ist die Titelfigur des 1845 veröffentlichten Buches von Heinrich Hoffmann. Er war Arzt, Psychiater und Zeichner. Das Bilderbuch „Der Struwwelpeter“ enthält Geschichten über unvorsichtige oder ungehorsame Kinder, die durch ihren Leichtsinn Schaden erleiden.
Wie kam nun Heinrich Hoffmann auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Im Dezember 1844 war sein Sohn Carl drei Jahre alt. Sein Vater wollte ihm ein Bilderbuch zu Weihnachten schenken, fand aber keines, das ihm gefiel. Er kaufte sich kurzerhand ein Schreibheft und beschloss, selber ein Kinderbuch zu basteln. Da er ein begabter Zeichner und Schriftsteller war kam dabei ein Buch heraus, das seinem Kind gut gefiel, und später auch dem gesamten Bekanntenkreis. Hoffmann wurde von vielen dazu aufgefordert, das Buch drucken zu lassen, und zu veröffentlichen. Und genau das tat er.
Bei der Veröffentlichung hieß das Buch noch „Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3–6 Jahren“ und der Autor verwendete das Pseudonym Reimerich Kinderlieb. Jetzt seid Ihr bestimmt neugierig geworden, welche Geschichten in dem Buch stehen. Die Titelgeschichte ist die kürzeste. Der Struwwelpeter wehrt sich gegen Schere und Kamm. Deshalb hat er lange, ungepflegte („struwwelige“) Haare und sehr lange Fingernägel. Er ist eine sehr ungepflegte, garstige Erscheinung, mit der niemand etwas zu tun haben will.
Es gibt auch die Geschichte des Tierquälers Friedrich. „Der Friederich, der Friederich der war ein arger Wüterich!“ Er quälte Tiere zu seinem Vergnügen, bis er an einen großen Hund geriet: „Da biss der Hund ihn in das Bein, Recht tief, bis in das Blut hinein.“
Die Moral von dieser Geschichte – also das, was man daraus lernen kann: Quäle keine Tiere!
Im Buch wird auch deutlich gegen Rassismus Stellung bezogen: Ein schwarzes Kind, ein „Mohr“, wird von drei Kindern verspottet. Die Kinder werden ermahnt, das bleiben zu lassen. Sie gehorchen nicht und werden daraufhin in ein Tintenfass gesteckt, und sind hinterher noch „viel schwärzer als das Mohrenkind.“
Eine weitere Geschichte: Der Zappel-Philipp, der auch im Buch beschrieben wird, gilt als erstes Beispiel eines Kindes mit ADHS, also mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/
Als es in den 1970er Jahren zu großen Veränderungen bei der Kindererziehung kam, wurde der Struwwelpeter kritischer gesehen als zuvor. Es wurde kritisiert, dass mit den Kindern schlimme Dinge passieren. Beispielsweise wurde dem Jungen, der ständig den Daumen in den Mund steckte, der Daumen mit einer Schere abgeschnitten. So wie dem Daumenlutscher geht es vielen Kindern im Buch – viele von ihnen kommen zu Schaden. Der Suppenkasper stirbt, weil er nichts mehr essen will, der fliegende Robert geht bei einem Sturm mit einem Schirm ins Freie und wird vom Wind davongetragen und ward nicht mehr gesehen und Paulinchen verbrennt, weil sie mit Streichhölzern spielt. Der Struwwelpeter wurde also der „schwarzen Pädagogik“ zugerechnet, die mit empfindlichen Strafen und Gewalt arbeitet, und bei der die Kinder gebändigt und gekränkt werden. Ein beliebter Satz der schwarzen Pädagogik war: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“
Heinrich Hoffmann tut man aber damit unrecht. Er war ein Menschenfreund und liebevoller Vater. Die einzelnen Geschichten werden bewusst übertrieben dargestellt. Vergleichbar sind sie eher mit den klassischen Märchen, die man sich heute noch erzählt. In manchen Zeichentrickfilmen für Kinder geht es weitaus gewalttätiger zu.
Was meint Ihr zum Struwwelpeter? Sollte man ihn Kindern auch heute noch vorlesen, oder lieber nicht?
Falls ihr das Buch lesen möchtet, hier ist ein PDF des ganzen Buches: http://www.gasl.org/refbib/
Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg188kurz.pdf
@anoymous (03. Oktober 2019)
Warum haben Sie nicht eine Formulierung vorgeschlagen, die
-nach ihren Maßstäben- unverdächtig genug ist? Das wäre wesentlich konstruktiver, als Frau Rubens hier in einem moralingeschwängerten Kommentar latenten Rassismus zu unterstellen.
Dieser Begriff wird hierzulande ohnehin a) inflationär, deshalb b) zunehmend unreflektiert und deshalb wiederum c) falsch verwendet
– und oft genug für politische Zwecke mißbraucht.
Mit anderen Worten:
Man kann’s auch übertreiben.
Ich habe auch darüber nachgedacht. Für mich ist es eher so, dass Kinder ein anderes Kind beschimpfen. Durch die „Strafe“ sollen sie aber selber in die Situation kommen, über die sie sich vorher lustig gemacht haben. Das ist in diesem Fall die Hautfarbe, das würde man heute sicher anders schreiben, aber es könnte auch etwas anderes sein. Irgendetwas, das „anders“ ist als bei den anderen, bei der Gruppe.
Wenn es eine Strafe ist, noch schwärzer als der Mohr zu sein, dann ist das in meinen Augen immer noch sehr rassistisch.
Es scheint ja für den Mohr schon schlimm zu sein, schwarz zu sein. Deshalb sollen die Kinder ihn nicht auch noch ärgern. Er ist mit seiner Hautfarbe gestraft genug.
Bitte überlegen Sie noch einmal den Abschnitt des Textes anzupassen.
Vielen Dank
Hallo, Annik,
Weisst du das die Melodie „Para mi mamita que me quita mi popó“ bedeutet eigentlich „Für meine Mutti die meine Scheisse entfernt“?
Entschuldige, bitte, meine Unhöflichkeit.
This is truly amazing!!!
Out of my vague memory from the best years in my life a few decades back, while living my pre-school period with my parents in Stuttgart, I clearly remember and will never forget a few things – smell of the bakery at the end of the street and hot German brotchens, thick Otto catalogs I went through cover to cover, countless clothes hangers at C&A… but more than anything – how glued I was for both Struwwelpeter and Max und Moritz (picture books and cartoons), remember how my mother literally had to pull me out of the apartment. Gosh, I still get goose bumps when I recall them, still remember their moral tales and messages.
I’ve just ordered from Amazon both books in bilingual German and English editions and can’t wait.
What a wonderful post, stuff I really, really love – not only we can hear our lovely language but cultural references are of huge importance for feeling true German.
Immense thanks for your efforts, Annik!
Oh je! Das kann ich gut verstehen.
Als ich noch sehr jung war, hat mir mein Vater, der in Deutschland geboren wurde, das Buch vorgelesen. Ich hatte wochenlang Albträume! Meine Mutter, die sehr amerikanisch war, war wütend auf meinen Vater!
I am addicted to your helpful podcasts. Thank you.