Ignaz Semmelweis, Retter der Mütter – SG 308

Ignaz Semmelweis, Retter der Mütter – SG 308

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Ich habe letztens ein altes Familienfoto gesehen. Es zeigt Verwandte von mir vor ungefähr hundert Jahren oder mehr. Zu sehen sind ein grimmig dreinschauender Vater und eine sehr müde aussehende Mutter und viele, viele Kinder. Damals war es üblich, dass Frauen viele Kinder bekamen. Schuld war daran nicht nur die fehlende Verhütung, sondern auch die Kindersterblichkeit. Die Menschen wussten, dass viele ihrer Kinder nicht alt werden würden. Nur wenige schafften es bis ins Erwachsenenalter. Ich habe mir die Statistiken angesehen: Um das Jahr 1870 starb eines von vier Neugeborenen in seinem ersten Lebensjahr, also 25 Prozent. 1938 waren es noch 6 von 100 Lebendgeborenen, also nur noch 6 Prozent. Heute sterben nur noch etwa drei von 1.000 Kindern, also 0,3 Prozent. Das ist eine wahnsinnige Erfolgsgeschichte.

Und auch bei den Frauen gab es positive Nachrichten: Während früher sehr viele Frauen im sogenannten Kindbett starben, also bei der Geburt oder kurz danach, ist das heute nur noch sehr selten. Dafür gab es viele Gründe, und über einen Grund möchte ich Dir heute mehr erzählen. In dieser wahren Geschichte geht es um einen Mann namens Ignaz Semmelweis.

Ignaz Semmelweis war ein Arzt, der im 19. Jahrhundert lebte. Er wurde 1818 in Budapest geboren. Damals gehörte Ungarn noch zum Kaiserreich Österreich. Er studierte Medizin in Wien und entschied sich als Spezialfach für die Geburtshilfe, also für die Betreuung von Frauen, die ein Kind bekommen. Nach seinem Studium begann er in Wien im Allgemeinen Krankenhaus zu arbeiten. Das war eines der größten Krankenhäuser Europas, und viele junge Ärzte wurden dort ausgebildet.

Im Krankenhaus gab es zwei Geburtsstationen. In der einen Station arbeiteten Ärzte und Medizinstudenten, in der anderen Hebammen, die dort ausgebildet wurden. Die Frauen wollten alle lieber zu den Hebammen gehen, und das hatte einen wichtigen Grund: Auf der Station der Ärzte starben viele Frauen nach der Geburt – bei den Hebammen war diese Zahl viel geringer. Niemand wusste, warum das so war. Die Ärzte dachten, es liege vielleicht an der Luft oder an der Angst der Frauen. Damals gab es viele Theorien, aber keine Beweise.

Ignaz Semmelweis wurde neugierig. Er wollte den Grund dafür herausfinden. Eines Tages starb sein Freund. Er war Pathologe gewesen und starb kurz nach einer Verletzung, die er sich bei einer Obduktion zugezogen hatte. Eine Obduktion ist die Untersuchung eines toten Menschen um herauszufinden, woran er gestorben ist. Der Freund hatte sich bei einer Untersuchung an der Hand verletzt, und kurz danach bekam er dieselben Symptome wie die Frauen, die im Krankenhaus nach der Geburt starben. Da hatte Semmelweis eine Idee: Vielleicht hatten die Ärzte etwas von den Toten auf die gebärenden Frauen übertragen. Die Ärzte machten nämlich Obduktionen, also Leichenuntersuchungen, und gingen danach ohne sich die Hände zu desinfizieren zu den Geburten. Hygiene galt als Zeitverschwendung. Manche wuschen sich nichtmal die Hände mit Wasser und Seife. Niemand fand das damals merkwürdig, es war ganz normal. Über Bakterien und andere Krankheitserreger wusste man damals noch nichts.

Semmelweis wollte herausfinden, ob seine Theorie richtig war. Er sagte den Ärzten und Studenten, dass sie sich die Hände mit einer Lösung aus Chlorkalk waschen mussten, bevor sie in die Geburtsstation gingen. Und plötzlich geschah etwas Erstaunliches: Die Zahl der toten Frauen sank sehr schnell. Innerhalb weniger Monate starben fast keine Frauen mehr am sogenannten Kindbettfieber. Das war ein riesiger Erfolg.

Hat man Semmelweis dafür gefeiert und belohnt? Nein. Im Gegenteil. Die Ärzte glaubten ihm nicht. Sie fühlten sich angegriffen. Denn die Theorie sagte ja im Grunde, dass sie selbst schuld waren am Tod vieler Frauen. Das wollte natürlich kein Arzt hören. Außerdem konnte Semmelweis nicht wirklich erklären, warum das Händewaschen half – Bakterien waren noch nicht entdeckt. Erst später, durch die Arbeiten von Louis Pasteur, verstand man, dass winzige Lebewesen Krankheiten verursachen können. Doch Semmelweis hatte das Problem schon vorher gelöst, einfach durch Beobachtung und ein Experiment.

Er versuchte, seine Ideen bekannt zu machen, schrieb Briefe und Artikel, später sogar ein Buch über seine Erfahrungen. Aber viele Leute lachten über ihn. Er wurde nicht ernst genommen. Heute weiß man, dass er mit allem recht hatte, doch zu seiner Zeit war er ein Außenseiter.

Nach einigen Jahren verließ Semmelweis Wien und ging zurück nach Budapest. Dort arbeitete er weiter als Arzt und führte das Händewaschen auch in der Geburtsstation seiner Heimatstadt ein. Wieder sanken die Todesfälle deutlich. Trotzdem bekam er keine Anerkennung. Viele seiner Kollegen mieden ihn, und er wurde immer einsamer. Gegen Ende seines Lebens war er sehr verbittert und krank. 1865 wurde er in eine psychiatrische Klinik gebracht, wo er nur wenige Wochen später starb – vermutlich an einer Blutvergiftung, also genau an der Krankheit, die er so oft verhindern wollte.

Erst Jahre nach seinem Tod erkannte die Welt, wie wichtig seine Entdeckung war. Heute gilt Ignaz Semmelweis als einer der Väter der modernen Hygiene. Händewaschen und vor allem die Hände zu desinfizieren gehört heute zu den einfachsten und wichtigsten Regeln der Medizin. Was heute selbstverständlich ist, war zu den Zeiten von Ignaz Semmelweis undenkbar. Gut, dass wir Menschen manchmal klüger werden und dazulernen.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg308kurz.pdf

Der Zeppelin Hindenburg – SG 296

Der Zeppelin Hindenburg – SG 296

Heute sprechen wir über ein ganz besonderes Luftfahrzeug: den Zeppelin Hindenburg. Vielleicht hast du schon einmal ein Foto von diesem riesigen Fluggerät gesehen. Oder du hast vom tragischen Unglück gehört, das mit der Hindenburg verbunden ist. In dieser Folge erzähle ich dir die Geschichte dieses berühmten Zeppelins – von seiner Entstehung bis zu seinem Ende.

Ein Zeppelin ist ein Luftschiff. Es fliegt durch die Luft, aber nicht wie ein Flugzeug. Ein Zeppelin ist leichter als Luft, weil er mit einem Gas gefüllt ist. Deshalb schwebt er. Der Name „Zeppelin“ kommt von Ferdinand von Zeppelin. Er war ein deutscher Graf und ein Pionier der Luftfahrt. Schon um das Jahr 1900 baute er die ersten Luftschiffe. Die Zeppeline waren vor allem am Anfang des 20. Jahrhunderts sehr wichtig. Damals gab es noch nicht viele Flugzeuge. Zeppeline konnten viele Menschen und auch Post über weite Strecken transportieren.

Die Hindenburg war der größte Zeppelin, der je gebaut wurde. Sie war 245 Meter lang – das ist fast so lang wie drei Fußballfelder. Gebaut wurde sie in Deutschland, in der Stadt Friedrichshafen am Bodensee. Ihr offizieller Name war LZ 129 Hindenburg, benannt nach dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Der Bau war im Jahr 1936 fertig.

Die Hindenburg sollte ein Symbol für die moderne Technik in Deutschland sein. Sie konnte bis zu 72 Passagiere transportieren – das war für die damalige Zeit sehr viel. Der Zeppelin hatte sogar einen Speisesaal, eine Lounge mit einem Klavier und große Fenster, durch die man die Landschaft sehen konnte. Das war Luxus pur. Viele Menschen träumten davon, einmal mit der Hindenburg über den Atlantik zu fliegen.

Aber es gab ein Problem: Die Hindenburg war mit Wasserstoff gefüllt. Dieses Gas ist sehr leicht – das ist gut zum Fliegen – aber es ist auch sehr leicht entzündlich. Eigentlich wollte man Helium benutzen. Helium brennt nicht. Aber die USA hatten damals fast das ganze Helium der Welt und sie wollten es nicht nach Deutschland verkaufen. Deshalb musste man Wasserstoff nehmen. Schon damals wussten viele Experten, dass das gefährlich war.

Trotzdem flog die Hindenburg viele Male ohne Probleme. Sie machte im Jahr 1936 17 Fahrten über den Atlantik – von Deutschland in die USA und zurück. Die Passagiere waren begeistert. Eine Fahrt dauerte ungefähr drei Tage. Man konnte über das Meer fliegen, Musik hören, lesen, gut essen – es war eine sehr elegante Art zu reisen.

Doch dann kam der 6. Mai 1937. Die Hindenburg war gerade auf dem Weg nach Lakehurst in den USA, in der Nähe von New York. An Bord waren 97 Menschen. Als der Zeppelin landen wollte, geschah das Unglück: Plötzlich gab es ein Feuer. Innerhalb von nur 34 Sekunden brannte das ganze Luftschiff. Es war eine Katastrophe. 35 Menschen an Bord und ein Mensch am Boden starben. Die Bilder vom brennenden Zeppelin gingen um die ganze Welt.

Nach diesem Unglück war das Vertrauen in Zeppeline zerstört. Die Menschen hatten Angst, damit zu fliegen. Auch wenn viele Flüge zuvor sicher waren – der Brand der Hindenburg machte klar, wie gefährlich diese Technik sein konnte. Nach 1937 wurden keine großen Zeppeline mehr gebaut. Die Ära der Luftschiffe war vorbei. Flugzeuge waren schneller und wurden bald sicherer.

Heute gibt es wieder kleine Zeppeline. Man kann zum Beispiel Rundflüge über den Bodensee machen. Sie sind viel kleiner und sicherer als die Hindenburg. Und sie fliegen mit Helium, nicht mit Wasserstoff.

Übrigens: Wusstest du, dass es sogar eine Hundekabine in der Hindenburg gab? Es waren zwei Hunde an Bord – aber leider hat nur einer das Unglück überlebt. Auch das Klavier an Bord war besonders. Es war aus Aluminium und extra leicht gebaut, damit das Luftschiff nicht zu schwer wurde.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg296kurz.pdf

Die deutschen Kolonien – SG #242

Die deutschen Kolonien – SG #242

Was für eine komische Vorstellung: Nach Afrika fahren und dort die deutsche Sprache zu hören. Die europäischen Kulturen haben sich gerne in der ganzen Welt ausgebreitet. So auch Deutschland. Über die deutschen Kolonien spricht aber heute kaum noch jemand. Ich erzähle Dir etwas darüber.

Was brauchte man, um eine Kolonie aufzubauen? Zunächst mal braucht man Schiffe, um überhaupt in die anderen Länder fahren zu können. Und natürlich politische Ziele, das eigene Land auszuweiten. Andere Länder wie England, Frankreich, Portugal und Spanien hatten beides und waren sehr erfolgreich mit ihren Kolonien. Deutschland nicht. Ein paar Versuche gab es, aber sie waren ohne Erfolg. Gut, eine einzige Kolonie schaffte es früh: 1683 wurde eine deutsche Festung in Ghana gebaut, um mit Gold und Sklaven zu handeln. Mehr passierte lange Zeit nicht. Gut, Deutschland war auch kein geeintes Land, sondern bestand aus vielen kleinen Einzelstaaten. Das war sicher ein Grund dafür. Erst 1871 wurde das Deutsche Reich gegründet – dazu gibt es mehr in der Slow German-Episode 172 zu Otto von Bismarck.

In der Verfassung des Deutschen Reiches gab es nun auch einen Artikel über „die Kolonisation“. Also war der politische Wille jetzt da. Schiffe hatte man mittlerweile auch. Reichskanzler Otto von Bismarck war aber nicht begeistert vom Gedanken der Kolonien. Die Kosten für so eine Kolonie würden oft den Nutzen übersteigen, sagte er. Und die deutsche Marine sei noch nicht weit genug entwickelt.

Statt ganze Länder zu kolonialisieren, baute Deutschland einzelne kleine Stützpunkte auf. 1868 wurde ein deutsches Marine-Krankenhaus in Japan gebaut, es gab Stützpunkte in China und Japan für die deutschen Schiffe und Marinesoldaten. Später dann auch in Afrika. Im Deutschen Reich fanden immer mehr Menschen den Gedanken von deutschen Kolonien reizvoll. Es wurden Vereine gegründet, viele Menschen wollten auswandern. Nach der Reichsgründung im Jahr 1871 wanderten pro Jahr ungefähr 200.000 Menschen aus – viele von ihnen nach Amerika. Aber immerhin einige Zehntausend zogen auch in die neuen Kolonien in Afrika.

1884 gab es dann eine aus heutiger Sicht skurrile Konferenz in Berlin: Bei der „Kongo-Konferenz“ verhandelten die USA, Deutschland und das Osmanische Reich darum, welche Bereiche Afrikas sie unter sich aufteilen könnten. Viel war nicht übrig, weil andere Länder sie schon kolonialisiert hatten. Der Rest wurde dann also verteilt. Die afrikanische Bevölkerung wurde nicht nach ihrer Meinung gefragt. Und so reisten einige Kolonialherren nach Afrika und nahmen sich das Land – entweder sie kauften es für wenig Geld oder sie nahmen es sich mit Gewalt.

So lief es oft ab: Privatmenschen, das waren meistens Kaufleute, gingen ins Ausland. Dort bauten sie sich etwas auf und baten dann Deutschland um Schutz. Bismarck nannte die Kolonien daher auch lieber „Schutzgebiete“.

Deutsch-Südwestafrika war das heutige Namibia, Deutsch-Ostafrika war im heutigen Tansania, Burundi und Ruanda. Man schickte Polizisten und Beamte in die neuen Kolonien, baute Schulen, Kirchen und Kultureinrichtungen. Auch christliche Missionare waren unterwegs, um die Menschen in Afrika vom christlichen Glauben zu überzeugen.

Was gab es noch? In Afrika noch Togo und Kamerun. Im Pazifik Deutsch-Neuguinea und Deutsch-Samoa. Dort baute man Kaffee, Kakao und Kokosnüsse an. In den Kolonien gab es nunmal viele Dinge, die es in Deutschland nicht gab – für den Handel waren sie also sehr interessant. Einen Gewinn brachten die Kolonien aber dennoch nicht. Trotzdem war 1884 das deutsche Kolonialreich nach dem britischen und französischen flächenmäßig das Größte.

Ein geflügeltes Wort wurde der Ausspruch des späteren Kanzlers Bernhard von Bülow. Er forderte einen „Platz an der Sonne“. Es wurden nur noch kleine Bereiche in China erworben und ein paar kleine Inseln. Ich möchte hier auch nicht alle Gebiete aufzählen, denn darum geht es nicht. Wichtiger ist, was eigentlich der Gedanke hinter diesen Kolonien war. Man wollte zum einen einen Vorteil für Handelsbeziehungen. Das kann ich noch verstehen, wenn man es fair getan hätte. Zum anderen wurde aber kaum Rücksicht genommen auf die Menschen, die bereits in diesen Ländern lebten.

Und damit sind wir bei der dunklen Seite der deutschen Kolonialzeit. Die Deutschen kamen zum Beispiel nach Deutsch-Südwestafrika und machten sich dort breit. Sie nahmen sich mit Gewalt, was sie haben wollten. Die Einheimischen hatten immer weniger Platz für ihre Rinder. Oft wurden sie in die Armut getrieben. Auf Angriffe reagierten die Deutschen mit Gewalt: Sie verbrannten Dörfer, nahmen den Menschen Schutz vor wilden Tieren.

1904 kam es zu einem Konflikt zwischen Kriegern der Herero und deutschen Siedlern. Es folgte eine Schlacht, bei der die einheimischen Herero in die Wüste getrieben wurden. Sie verdursteten. Historiker sagen heute, dass das ein Völkermord war. Der deutsche Generalleutnant hatte sie nicht nur vertreiben wollen, sondern ihnen absichtlich den Zugang zu Wasserstellen versperrt. Geschätzt überlebte nur ein Viertel der Herero dieses Verbrechen. Einem anderen Volk, den Nama, ging es ähnlich. Insgesamt sollen 75.000 afrikanische Menschen umgebracht worden sein.

Die Deutschen lernten zwar aus diesen Kriegen und stellten ihre Politik um. Aber lang dauerte die Kolonialzeit dennoch nicht mehr. Denn auch in der europäischen Heimat war es mittlerweile nicht mehr friedlich: Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen. Fast alle  deutschen Kolonien fielen an die Alliierten, das besiegelte der Versailler Vertrag im Jahr 1920. Im Zweiten Weltkrieg dann plante Adolf Hitler eine Kolonialisierung Afrikas – zum Glück wurde dieser Alptraum nie wahr.

Und heute? In Namibia gibt es noch knapp 20.000 deutschsprachige Bewohner. Die namibische Armee arbeitet mit der Bundeswehr zusammen. Sonst ist der deutsche Einfluss im Rest der Welt nicht mehr groß.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg242kurz.pdf

Der Marshallplan hilft Deutschland – SG #228

Der Marshallplan hilft Deutschland – SG #228

Hast Du schonmal etwas von dem amerikanischen Außenminister George C. Marshall gehört? Er hatte das Amt von 1947 bis 1949 inne. 1953 bekam er den Friedensnobelpreis für ein Programm, das für immer mit seinem Namen verbunden bleibt: Marshallplan.

Der Marshallplan hieß eigentlich European Recovery Program. Dabei handelte es sich um ein Wirtschaftsförderungsprogramm der USA. Europa sollte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut werden. Viele Städte waren damals vollkommen zerstört, es gab keinen Wohnraum für die Menschen, keine Lebensmittel. Dazu mussten die vielen Flüchtlinge aus den ehemals deutschen Gebieten versorgt werden. Den Winter 1946/47 nennt man den „Hungerwinter“. Auch anderen europäischen Ländern ging es schlecht. Der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion begann – und in den USA wuchs die Angst vor Kommunisten.

Die Vereinigten Staaten hatten Angst, dass die Sowjetunion ihren Einfluss ausbauen könnte. Also wollte man Deutschland, Österreich und andere Länder wirtschaftlich wieder stärker machen. Man musste aber vorsichtig sein, denn immerhin war gerade ein großer Krieg zu Ende gegangen und Deutschland musste noch Entschädigungen zahlen, zum Beispiel an Frankreich.

Zwei Jahre nach Kriegsende, am 5. Juni 1947, hielt Außenminister Marshall an der Harvard Universität eine Rede. Er schlug darin ein Hilfsprogramm für alle europäischen Staaten vor. Man wolle gegen „Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos“ kämpfen und dafür sorgen, dass Europa wieder stabil werde. Es sollte eine Hilfe zur Selbsthilfe werden. Die europäischen Länder sollten sich untereinander verständigen und ihren Beitrag leisten. Bald darauf gab es ein Treffen der Außenminister in Paris. Die Sowjetunion nahm nicht lange an der Konferenz teil – sie verkündete stattdessen den „Molotow-Plan“ für die Länder Mittel- und Osteuropas.

Am 22. September 1947 wurde der Vertrag dann nach langen Verhandlungen unterzeichnet. Ein halbes Jahr später wurde er in den USA verabschiedet und von Präsident Harry Truman in Kraft gesetzt. Es ging um Hilfen in Höhe von 13 Milliarden Dollar bis 1952. Umgerechnet wären das heute knapp 142 Milliarden Dollar. Vor allem ging es um Darlehen und Kredite und die Lieferung von Rohstoffen und Lebensmitteln. 9,3 Milliarden Dollar der insgesamt 13 Milliarden Dollar waren Subventionen. Diese Subventionen mussten nicht zurückgezahlt werden. Das jeweilige Land musste aber den Gegenwert dieser Subventionen in einen Sonderfonds einzahlen – so wurde der nationale Wiederaufbau finanziert.

Um die Wirtschaft zu koordinieren, gründeten 16 europäische Länder die OEEC, die später zur heute noch aktiven OECD wurde. West-Deutschland bekam von 1948 bis 1952 insgesamt 1,4 Milliarden Dollar. 24 Prozent des Geldes aus dem Marshall-Plan flossen nach Großbritannien, 20 Prozent nach Frankreich. Jeweils 10 Prozent nach West-Deutschland und Italien.

Warum war Amerika so großzügig zu Europa? Das hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel, weil die USA natürlich ein großes Interesse daran hatten, in der Zukunft wieder mit Europa Geschäfte zu machen. Man wollte dorthin Waren exportieren und war am freien Handel interessiert.

Übrigens: Deutschland hatte durch diese Hilfen nie richtiges Bargeld zur freien Verfügung. 70 Prozent der Waren, die nach Deutschland gebracht wurden, waren Tabak und Baumwolle aus den USA. Ein Hintergedanke der USA am Marshallplan war also offenbar, der amerikanischen Landwirtschaft zu helfen.

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg228kurz.pdf

SG #199: Jakob Fugger und die Fugger-Familie

SG #199: Jakob Fugger und die Fugger-Familie

Jeff Bezos und Bill Gates sind die beiden reichsten Männer der Welt. Ich möchte Dir aber heute etwas von einem Mann erzählen, der in seiner Zeit noch viel reicher war als diese beiden Herren: Jakob Fugger. Wenn Du es auf heutige Verhältnisse umrechnest, betrug sein Vermögen 400 Milliarden Dollar. Und: Er war der erste dokumentierte Millionär überhaupt.

Geboren wurde Jakob Fugger 1459 in Augsburg, das liegt in Bayern. Seine Familie waren erfolgreiche Handelsleute. Sie hatte ihr Geld hauptsächlich mit dem Baumwollhandel mit Italien verdient. Jakob war also bereits wohlhabend, als er zur Welt kam. Er hatte in Venedig gelernt, ein guter Kaufmann zu sein, er lernte über das Bankwesen und über das Metallgeschäft. Danach baute er das Familienunternehmen aus, er machte es also größer. Die Fugger bauten Silber und Kupfer ab und andere Bodenschätze. Sie lieferten es bis nach Indien.

Aber es gab noch einen weiteren Geschäftszweig: Jakob Fugger wurde Bankier. Er finanzierte den Aufstieg eines Kaisers und lieh den herrschenden Adeligen Geld. Dadurch konnte Jakob Fugger die damalige Politik in Europa beeinflussen. Er war eng mit den Habsburgern verbunden, und als diese an die Macht kamen lieferte Fugger ihnen Waffen und Geld.

Um immer gut informiert zu sein, schuf Fugger einen eigenen Nachrichtendienst. So wusste er als Erster, wenn ein Schiff gesunken war oder etwas anderes nicht geklappt hatte. Er arbeitete viel, knüpfte Kontakte und ging auch Risiken ein, um Gewinn zu machen. So wurde er immer reicher.

Bis hierhin klingt das noch nicht so toll, oder? Jakob Fugger stiftete eine Kapelle in der Augsburger St. Anna-Kirche. Es ist der erste Renaissancebau Deutschlands und dort wurden die Fugger-Brüder später auch begraben. 1521 wurde die Fuggerei gestiftet. Das war eine Armensiedlung in Augsburg, in der Handwerker leben konnten. Sie existiert noch heute und ist die älteste erhaltene Sozialsiedlung der Welt. 52 Reihenhäuser waren es zu Beginn, später dann 67. Heute leben hier 150 Menschen. Nicht jeder Mensch darf hier wohnen, denn es gibt Regeln, die seit 1521 eingehalten werden müssen. Einziehen dürfen nur arme Augsburger. Sie müssen katholisch sein und täglich drei Gebete für die Familie Fugger sprechen. Dafür bezahlen sie für eine 60 Quadratmeter große Wohnung weniger als einen Euro Miete – pro Jahr. Dazu kommen noch Heizkosten.

Jakob Fugger kaufte Grafschaften und wurde durch seinen Landbesitz in den Adelsstand erhoben. Dass ein Kaufmann zum Grafen werden konnte, das war damals noch nie dagewesen. Die Menschen nannten ihn „der Reiche“. Sein Einfluss reichte bis in den Vatikan: Als es einen neuen Papst gab, finanzierte Fugger die Anwerbung der Schweizergarde, also die Bewacher des Papstes, die es heute noch gibt.

Und privat? Nun, privat heiratete Jakob Fugger im Alter von 39 Jahren eine 18-Jährige. Kinder bekamen sie keine. 1525 starb Jakob Fugger im Alter von 66 Jahren. Sein Vermögen ging an die beiden Neffen über.

Komm mit in die Fuggerei – so sieht es da aus:

Text der Episode als PDF: https://slowgerman.com/folgen/sg199kurz.pdf